Mittwoch, 4. August 2021

Kirschen, die eigentlich Pflaumen und Pflaumen, die eigentlich Aprikosen sind. An der Gattung Prunus läßt sich wunderbar beobachten, was mitunter für ein Chaos entsteht, wenn traditionelle Bezeichnungen und Linnésche Erbsenzählerei aufeinandertreffen. Dabei gehören Erbsen nicht einmal zur gleichen Familie. Womit wir schon mittendrin wären. Die Gattung Prunus gehört zur Familie der Rosengewächse (Rosaceae), unter deren 90 Gattungen mit insgesamt etwa 3000 Arten sich nicht nur Rosen und Hagebutten (Hagebutten sind Rosen) finden, sondern auch das ganze einheimische Steinobst, Äpfel (Malus domestica), Birnen (Pyrus communis), Quitten (Cydonia oblonga), Brom- und Himbeeren (Gattung Rubus), sowie zahlreiche Wildpflanzen wie Schlehe (Prunus spinosa), Weißdorn (Gattung Crataegus), Eberesche (Sorbus aucuparia), Mehlbeere (Gattung Sorbus) oder auch der Wald-Geißbart (Aruncus dioicus). Auch die Erdbeere (Fragaria) gehört dazu. Die Gattung Prunus ist so artenreich, daß die Linnéschen Stufen von Art, Gattung, Familie, Ordnung innerhalb der Gattung um die Zwischenstufen Untergattung und Sektion erweitert werden. Die so feiner unterteilte Gattung enthält die Untergattungen Prunus, Cerasus, Amygdalus und Emplectocladus. Neben der namensgebenden Pflaume (Prunus domestica) findet man dort in der Untergattung Cerasus auch allerlei Kirschen, natürlich auch die vertrauten Süß- (Prunus avium) und die Sauerkirsche (P. cerasus. Daß die Gattung Prunus eine Untergattung Prunus hat, ist hübsch und führt zu Aussagen wie "Die Schlehe ist ein Strauch in der Familie der Rosengewächse, Gattung Prunus, Untergattung Prunus, Art: spinosa". Noch hübscher ist, daß die Untergattungen noch einmal in sogenannte Sektionen unterteilt werden, im Falle der Schlehe darf man dann sagen, "Familie Rosengewächse, Gattung Prunus, Untergattung Prunus, Sektion Prunus, Art: spinosa. Die Sektionen wiederum ... nein, Quatsch, innerhalb der Sektionen gibt es nur noch die einzelnen Arten. Wir können also eine schöne Tabelle basteln:

  • Prunus (Gattung)
    • Prunus (Untergattung)
      • Armeniaca (Sektion; Aprikosen, Aprikosen!)
      • Microcerasus (Sektion)
      • Penarmeniaca (Sektion)
      • Prunus (Sektion; hier gibt's die Pflaumen und Mirabellen)
      • Prunocerasus (Sektion)
    • Cerasus (Untergattung)
      • Cerasus (Sektion; hier gibt's die Kirschen)
      • Laurocerasus (Sektion; ja, der blöde Kirschloorbeer ist auch eine Pflaume)
    • Amygdalus (Untergattung; lecker Mandeln! Und: Pfirsiche, also Mandeln, bei denen das fleischige Äußere eßbar ist)
    • Emplectocladus (Untergattung; arkane Botanik Nordamerikas)
Und die Erbsen? Das sind Schmetterlingsblütler und obendrein Hülsenfrüchte (nein, keine Schoten), aber dazu ein andermal mehr.

Weiter im Lucan. Nachdem der Sturm in der Adria geradezu kosmische Ausmaße angenommen hat, kehrt Lucan wieder zu menschlichen Maßstäben zurück und zu Beschreibungen, die das Rasen der Elemente greifbarer machen als irgendein Knirschen im Himmelsgewölbe (V 638--641):

quantum Leucadio placidus de uertice pontus
despicitur, tantum nautae uidere trementes
fluctibus e summis praeceps mare; cumque tumentes
rursus hiant undae uix eminet aequore malus

Wellen, von deren Scheitel man wie von einem Berg auf die ringsum tobende See hinabblicken kann; Wellen, die höher als der Mast des Schiffes aufragen -- darunter kann man sich was vorstellen, das ist aufs menschliche Maß heruntergebrochen.

V 685 nullusne tuorum / emeruit comitum fatis non posse superstes / esse tuis? Das ist wieder so ein Satz, den man gleichzeitig von hinten, von vorne und von der Mitte aufrollen muß. Und dann auch noch eine doppelte Verneinung (nullusne ... non posse). Der Kontext: Die durch Caesars nächtliches Verschwinden besorgten Kameraden machen dem Zurückgekehrten Vorwürfe, er habe sein Leben, von dem so viel abhänge, leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Also, das Gerüst ist nullusne ... emeruit ... non posse ... esse, "Hat denn keiner verdient, nicht sein zu können?" nullus hat das Genitivattribut comitum, also "keiner von den Gefährten"; das Prädikatsnomen zu esse ist superstes "Zeuge" und "Überlebender"; superstes konstruiert oft mit Dativ, also hier mit fatis tuis, "Überlebender deines Schicksals". Um die verquaste doppelte Negation in rhetorischer Frage aufzulösen, stellt man sich einfach die der rhetorischen Frage zugrundeliegende Behauptung vor, also "keiner hat verdient", dann erhält man: "Keiner deiner Gefährten hat verdient, dein Schicksal überleben zu können!" Oder vielleicht: "zu dürfen". Andersherum: Wir haben es alle verdient, vor dir zu sterben."





Montag, 2. August 2021

Wetter und Himmel, Naturgewalten überhaupt: Je weiter man liest, desto mehr scheinen solche Beschreibungseinschaltungen zum festen Inventar dieser Dichtung zu gehören. Bislang gab es böse Vorzeichen (I 526--583), Flut (IV 48--120) und Rückkehr schönen Wetters (121--135), und jetzt eben Meeressturm. Klappern gehört zum Handwerk, möchte man sagen, Hyperbole zum Handwerk des Epikers. Schon allein, daß unter den Winden (Aquilo, Corus, Boreas, Eurus, Notus, Nord-, Nordwest-, nochmal Nord-, Südost-, Südwind, resp.) alle Himmelsrichtungen vertreten sind (jeder weht aus seiner vertrauten, solita de parte, Richtung), macht deutlich, daß hier alles andere als eine naturalistische Beschreibung angestrebt wird. Stattdessen bekommen wir eine poetisch überhöhte Schilderung, deren Überzeichnung poetisch wahrer ist als die Wirklichkeit. Sogar die Meere vermischen sich, das Tyrrhenische läuft in die Ägäis über, im Ionischen Meer tönt die Adria. Berge gehen unter, gegen die die Wellen so oft vergebens brandeten, im Meer tun sich Furten bis zum verborgenen Grund auf, der eine Wind peitscht die Wellen gegen die Klippen, ein anderer stößt sie wieder zurück, und sogar der die Erde umfassende Ozean trägt seinen Teil zum Getümmel bei. Bei Lucan lesen wir auch zum erstenmal in der Geschichte von Monsterwellen (620): a magno venere mari, mundumque coercens / monstriferos agit unda sinus ... Es herrscht Dunkelheit, aber es ist nicht die Dunkelheit der Nacht, die Luft selbst ist von der Blässe des Totenreiches eingeschlossen und opak; das furchterregende Licht selbst stirbt, keine Blitze erhellen die Schwärze, die wolkige Luft teilt sich zur Dunkelheit. Zuletzt knirschen noch die kosmischen Getriebe, der Himmel wackelt, die Achse ächzt, die Natur fürchtet sich vor der Rückkehr des Chaos und der Nacht, die "die Schatten der Unterwelt mit den Göttern vermischen". Viel schlimmer kann es eigentlich nur noch beim Vakuumzerfall kommen.


Lange Zeit habe ich Neutronensterne nicht verstanden. Na ja, das ist insofern kaum verwunderlich, als nicht einmal Astrophysiker Neutronensterne vollständig verstanden haben. Ich habe aber etwas ganz Grundlegendes über Materie und Gravitation nicht verstanden. Vereinfacht gesagt, entsteht ein Neutronenstern, wenn im Innern eines Sterns einer bestimmten Mindestmasse am Ende seines Lebens die Kernfusion zum Erliegen kommt. Ein Stern ist nur deswegen stabil, weil sich zwei Kräfte die Waage halten: die Kernfusion erzeugt einen Strahlungsdruck nach außen; die eigene Schwerkraft einen Druck nach innen. Fällt der Strahlungsdruck weg, wird der Gravitation nichts mehr entgegengesetzt, der Stern fällt buchstäblich in sich zusammen und bildet eine sehr dichte Kugel, bei der die Materie etwa so stark zusammengequetscht wird, als ballte man die Masse unserer Sonne zu einer Kugel von 20 bis 30 km Durchmesser. Also sehr, sehr dicht. (Die Sonne hat einen Durchmesser von 1.392.684 km.) Was ich nicht verstanden habe, war: Gibt es denn keine, sagen wir mal Rückstellkraft, die den Kollaps irgendwann aufhält? So daß also alles wieder zurückschnellt und ein zwar kompakter, aber wenig rätselhafter Klumpen übrig bleibt? Die Antwort ist, es gibt eine solche Kraft, man nennt sie Entartungsdruck, und sie beruht auf dem sogenannten Pauli-Prinzip, demzufolge niemals zwei identische Fermionen (Teilchen, die einen halbzahligen Spin haben, egal. Dazu gehören alle Teilchen, aus denen Materie besteht) am selben Ort vorkommen können. Ich habe mich weiter gefragt, warum sich der extrem dichte Klumpen nicht einfach wieder entspannt, wie ein Softball, wenn die Hand, die ihn zusammendrückt, ihn losläßt. Die Antwort ist einfach: die Hand in diesem Beispiel ist die Gravitation, und die läßt den Stern nicht los. In seinem Innern ist der Druck so hoch, daß die Elektronen der Atome von den Protonen eingefangen werden und sich unter Abgabe eines Neutrinos in Neutronen umwandeln (Betazerfall), daher der Name "Neutronenstern". Es läuft eben darauf hinaus, daß sich in diesem Universum nicht beliebige Mengen an Materie auf einem Fleck versammeln können, ohne daß merkwürdige Dinge passieren. Das heißt, auch eine Eisenkugel (aus bestimmten Gründen ist die Kernfusion höherer Elemente als Eisen ein energieverbrauchender Prozeß, der von allein nicht stattfindet) von der acht- bis zwölffachen Masse der Sonne wäre nicht stabil, wenn irgendwer es schaffen sollte, so viel Eisen auf einen Fleck zu werfen: die Kugel würde ebenso implodieren wie ein Stern am Ende seines Lebens und einen Neutronenstern bilden.





Samstag, 31. Juli 2021

Lucan V 561--637

Sturm, Wolkenbrüche, wilde See, die bösen Zeichen bewahrheiten sich. Der Fischer will umkehren, nicht aus Angst, sondern weil er befindet, daß die italische Küste nicht zu erreichen sei; man solle umkehren, solange es noch möglich sei. Darauf Caesar, selbstbewußt wie er nunmal ist: Wüßte sein Fährmann, wen er da befördere, er hätte keine Angst. Die Götter verließen diesen Passagier niemals. Sein Glück täte ihm Unrecht, wenn es erst einträfe, nachdem er Gebete gesprochen habe. Dies hier sei die Aufgabe von Wind und Wetter, nicht die des Schiffes. Dieses werde durch die Anwesenheit Caesars vor den Fluten geschützt. So Caesar. Um dann dem ganzen noch die Krone aufzusetzen und das Geschehen, das man leicht als Widerstand der Fortuna gegen das Vorhaben Caesars auffassen könnte, dreist umzudeuten:

... quid tanta strage paretur
ignoras: quaerit pelagi caelique tumultu
quod praestet Fortuna mihi. ...
(591ff)

"'Du weißt nicht, was mit diesem Aufruhr vorbereitet wird: Fortuna sucht darin, was sie für mich leisten kann.'"

563: Gestörte Ordnung der Dinge, selbst die Sterne scheinen zu wackeln im Sturm. Das Unwahrscheinliche bei dieser Vorstellung läßt an den Topos denken, in dem die Zauberin den Mond zur Erde ziehen und Ströme rückwärts laufen lassen kann.

Bei Lucan gibt es keine Beschreibung von Naturgewalten ohne Übertreibung:

... cunctos solita de parte ruentis
defendisse suas uiolento turbine terras,
sic pelagus mansisse loco. ...

"... daß [die Winde], aus ihren bekannten Richtungen brausend, mit rasendem Wirbel ihr Terrain behaupteten, und daß so das Meer an seinem Platz blieb." Die Aussage ist abhängig vom Matrixverb crediderim "ich möchte glauben", was die Unglaubhaftigkeit eines solchen Geschehens noch verstärkt. Vielleicht ist es aber auch anders zu lesen, nämlich alles im Sinn von, "so schien es", "es war, als ob". Die Form crederes bedeutet ja "man hätte glauben können". Daß hier die erste Person verwendet wird, ist freilich seltsam. Es scheint ausgeschossen, daß Lucan bei allem, was der Dichter bei der Schilderung des Seeabenteuers an Wind, Wasser, Wirbeln, Gischt und bösem Wetter auffährt, hier eine ironische Relativierung des Gesagten beabsichtigt.

Bei Caesar selbst findet sich kein Wort zu diesem Abenteuer, das aber laut dem verlinkten Kommentar bei Dion (Cassius Dio? Dio Chrysostomus?), Appian und Plutarch erwähnt wird. Vielleicht wurde es erfunden, um Caesar den Ausspruch "Fürchte dich nicht, du fährst Caesar" in den Mund legen zu können.





Mittwoch, 28. Juli 2021

Lucan V 515--531

Man muß bei der Schilderung, wie Caesar die Hütte des epirotischen Fischers aufsucht, sofort an den Topos des Götterbesuchs (Philemon und Baucis, Ceres in Eleusis) denken: die Bescheidenheit, aber auch die Unabhängigkeit dessen, der nichts zu verlieren hat, von den Großen der Welt; die ungezwungene Hilfsbereitschaft, das Motiv der (in Aussicht gestellten) Belohnung. Die Frage ist, was soll diese Episode? Caesar als Gott darzustellen? Wohl nicht. Das Ideal eines genügsamen Lebens frei von Machtstreben, Besitz und Herrschaft vorzustellen, sozusagen als Relikt eines verflossenen goldenen Zeitalters? "Oh vergessenes Göttergeschenk". heißt es da:

... o munera nondum
intellecta deum! quibus hoc contingere templis
aut potuit muris, nullo trepidare tumultu
Caesarea pulsante manu?

"Hinter welchen Mauern und Tempeln hätte er [der Fischer] es wohl geschafft, nicht von innerem Aufruhr zu zittern, wenn Caesar an seine Tür klopft?" (Oder, je nachdem, ob man quibus auf templis ... aut ... muris bezieht oder als Fragepronomen liest: "Wem könnte, hinter Tempeln und Mauern, gelingen, etc.")

Caesar ist kein Gott, und er bittet auch nicht, er befiehlt; was ihn, gekleidet in einen einfachen Mantel, in dieser Szene vom Fischer unterscheidet, ist seine Sprache:

sic fatur, quamquam plebeio tectus amictu,
indocilis priuata loqui. ...

Der Fischer hat keinen Herrn über sich, er ist sein eigener Herr. Wenn Caesar ihm die Überfahrt nach Italien befiehlt, weiß er ganz genau, daß er auf den Fischer angewiesen ist, nicht umgekehrt. Beide wiederum sind machtlos gegen die Natur, wie der Fischer nach einer langen Aufzählung schlechter Wetterzeichen den Heerführer sanft belehrt:

sed, si magnarum poscunt discrimina rerum,
haud dubitem praebere manus: uel litora tangam
iussa, uel hoc potius pelagus flatusque negabunt.

"Aber wenn die Engpässe der großen Geschehnisse es erfordern, dann will ich nicht zögern, mich einzubringen. Entweder ich schaffe es an die von dir befohlene Küste, oder, wenn nicht, dann werden es Meer und Wind vereiteln." Womit klargestellt ist: Mir kannst du befehlen, Caesar, nicht dem Wind und den Wellen.

Das vergessene Göttergeschenk -- das wahre Göttergeschenk! In einer einfachen, aus Binsen geflochtenen Hütte mit einem umgedrehten Boot als Tür sitzen, alles haben, was zum Leben nötig ist und die Mächtigen nicht fürchten müssen. Ja, Caesar tritt auf wie ein Gott, wie Zeus bei Philemon und Baucis, wie Ceres bei Celeus, aber was er zu bieten hat, ist gerade nicht das Göttergeschenk. Caesars Auftritt als Quasi-Gott ist nur ein weiterer Akt der Usurpation, ein Zeichen seiner Hybris.


Interessante Tatsache beim formidablen FF gelesen. Der zitiert eine Studie über das Mißverhältnis zwischen den Empfehlungen, die manche Regierungen den Bürgern zur Minderung des Kohlendioxidausstoßes geben, und den Maßnahmen, die tatsächlich am meisten CO2 einsparen. Unter letzteren liegt vorne, aber nicht ganz vorne, auf Platz zwei: Auf einen Transatlantikflug pro Jahr verzichten. Platz drei: autofrei leben. Danach kommen Maßnahmen, die nur noch wenig bringen: auf Wäschetrockner verzichten, Energiesparlampen benutzen, etc. Und was liegt auf Platz eins? Ein Kind weniger in die Welt setzen.





Dienstag, 27. Juli 2021

Über diese Verse lange gegrübelt:

... ueluti deserta regente
aequora natura cessant, pontusque uetustas
oblitus seruare uices non commeat aestu

Auch die Übersetzung vermochte nicht weiterzuhelfen. Schon irgendwie klar, was das heißen soll; unklar hingegen blieb die Syntax. vetustas ist Nominativ, ebenso pontus. "Die See, das Alter". Was ist hier das Subjekt? Das Partizip oblitus kann sich nur auf pontus beziehen. "Die See als lange Existenz, indem sie vergaß"? Manchmal ist die Auflösung ja ganz einfach, man muß nur ein paar Vokabeln wissen.

Über Marcus Antonius: iam tum ciuili meditatus Leucada bello (V 479). Leukas, heute Lefkada, Insel im Ionischen Meer, südlich des Ambrakischen Golfs. An dessen Einfahrt an der Südseite liegt Actium, bekannt für die Schlacht, in der Octavianus, der spätere Kaiser Augustus, seinen Konkurrenten Antonius ausschaltete und sich die Alleinherrschaft sicherte. "Schon damals plante Antonius für seinen eigenen Bürgerkrieg sein Actium" ist also eine ironisch formulierte Aussage über Antonius' Ehrgeiz und persönliche Aufstiegspläne. Plante sein Actium heißt soviel wie plante seinen Untergang. Das wäre so, wie wenn wir heute sagen würden, Barschel plante bereits seine Badewanne.

483f: summa manus "letzte Hand" iSv final touch.


Schwarze Löcher sind sozusagen ein Nulldivisionsfehler des Universums.


Fuck you, maths!





Montag, 26. Juli 2021

Noch einmal die beiseitegewischten Omina (Lucan V 395f):

nec caelum seruare licet: tonat augure surdo,
et laetae iurantur aues bubone sinistro.

Noch einmal, am Morgen seines Todestages, wird Caesar ein schlechtes Vorzeichen mißachten und die tödliche Senatssitzung aufsuchen, vor der ihn ein Traum seiner Gattin gewarnt hatte.

V 403--460: Nachdem Caesar sich quasi selbst zum Consul ernannt hat, eilt er in Windeseile nach Brundisium (Brindisi), in der Absicht, nach Griechenland überzusetzen und Pompeius dort endgültig auszuschalten. Windstille hält die Flotte zunächst mitten auf dem Meer fest, wo sie -- manövrierunfähig -- einem Angriff gegenerischer Schiffe schutzlos ausgesetzt wäre. Doch abermals zeigt sich Caesars Fortuna günstig. Das Wetter schlägt um und trägt die Schiffe schnell nach Palaeste (ein Hafen in Epirus).

Die Flüsse Hapsus (Apsus) und Genusus. Auf der Wikipedia gibt es eine äußerst brauchbare Liste antiker geographischer Bezeichnungen, darin für jeden Namen, gleich ob als Lemma auf der Wikipedia vorhanden oder nicht, einen Verweis auf Smith. Die beim letzteren aufgeführten modernen Bezeichnungen (Uzúmi, Devól, Beratinós) auf Openstreetmap, auf der deutschen, der griechischen und der englischen Wikipedia zu finden versucht, vergebens. Noch einmal genau hingeschaut: das Lexikon von Smith ist von 1854, okay, das ist nicht mehr ganz aktuell, und der Balkan, was Sprachen und Namen angeht, nicht gerade die konservativste Weltgegend. Manchmal muß man Glück haben: auf dem Mars (ja, genau, dem Planeten) gibt es ein Flußbett (channel), das nach dem antiken illyrischen Fluß Apsus Vallis heißt, und diese areologische Formation hat einen Eintrag auf der englischen Wikipedia. Dort aber wird dankenswerterweise auch angegeben, nach welchem irdischen Gewässer das Tal benannt ist. Es handelt sich um einen Strom im heutigen Albanien, dem Seman. Nach dem Gewässer Genusus ist leider keine areologische Formation benannt. Aber es gibt ein Lemma Genusus auf der englischen Wikipedia. Der moderne Name des albanischen Flusses, erfährt man dort, ist Shkumbin. Unter der bei Smith angegebenen Schreibweise "Skumnbi" ist die Suche selbst mit modernen Meinten-Sie-xyz?-Methoden erfolglos. Zwischen Genusus und Apsus liegt heute eine Flachwasserlagune, die vom offenen Meer nur durch eine schmale Düne getrennt ist, die Lagune von Karavasta. Hier irgendwo wird es wohl gewesen sein, daß Caesar und Pompeius ihre Lager errichteten. Hapso gestare carinas heißt es da (463f), causa palus, leni quam fallens egerit unda. egerit nicht von ago, das ergäbe von der Form (Fut. II oder Konj. Perf) keinen Sinn, sondern von e-gero "herausführen, -tragen, -treiben": "Daß der Apsus Schiffe tragen kann, liegt an dem See, den er mit unmerklicher Strömung hinausführt" Sollte das die Vorform der heutigen Lagune gewesen sein? Um diese Frage zu beantworten, müßte man wissen, wie solche Lagunen sich bilden; wie schnell sie verlanden; wie der Tiefgang der römischen Kriegsschiffe im ersten vorchristlichen Jahrhundert war, und ob solche Schiffe in die Lagune mit ihrer damaligen Tiefe hätten einfahren können.


Passend zu meiner aktuellen Lektüre von Against the Grain heute einen Podcast über die Himmelsscheibe von Nebra gehört (eine Folge der überaus hörenswerten Reihe Das Universum von Florian Freistetter und Ruth Grützbauch). Darin weist der Wissenschaftsjournalist Kai Michel, Co-Autor des Buchs Die Himmelsscheibe von Nebra. Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas (Kai Michel und Harald Meller 2018) darauf hin, daß ein Objekt wie die Himmelsscheibe Herrschaft legitimierte, und daß Kalenderwissen Herrschaftswissen war. Das schließt unmittelbar an Scotts interessante Ideen zur frühen Staatenbildung an, daß nämlich Staaten nur dort entstehen konnten, wo Getreide, wegen der Eigenschaft der einzelnen Pflanzen, gleichzeitig in einem sehr kurzen Zeitfenster zur Reife zu kommen, als kontrollierbares, einem Abgaben- Erhebungs-, Eintreibungs- und Buchhaltungssystem unterwerfbares Produkt zur Verfügung stand. Wer nun den Kalender kontrollierte, kontrollierte das Getreide und die, die es anbauten.





Donnerstag, 22. Juli 2021

"In Anhang V der BPR werden Biozidprodukte in 22 Biozidproduktarten eingestuft, die wiederum in vier Hauptgebiete zusammengefasst werden."

Von einer peniblen Klassifikation geht immer eine Beruhigung aus. Schaut, wir haben die Dinge gezählt und nach Gruppen geordnet, wir haben für jede Gruppe Grenzwerte, Vorschriften, Verhaltenskataloge erstellt, wir haben Hinweistafeln konzipiert und Kürzel zum Aufdruck auf Verbraucherpackungen. Es ist alles unter Kontrolle, kein Ding entwischt unserer engmaschigen Taxonomie, und wenn kein Ding unserer Taxonomie entwischt, dann entwischt es auch nicht den Verordnungen, Regeln und Gesetzen, unter die es ausweislich seiner taxonomischen Einordnung fällt. Der menschliche Ordnungssinn ist erstaunlich. Eigentlich nicht erstaunlich, was man alles klassifizieren kann -- aber wie jede gute Idee ist auch der Einfall, einen Ausschnitt der uns umgebenden oder von uns geschaffenen Welt einer strengen Taxonomie zu unterwerfen, erst rückblickend einleuchtend und simpel. Von PT1/menschliche Hygiene (Bei den Produkten dieser Produktart handelt es sich um Biozidprodukte, die für die menschliche Hygiene verwendet und hauptsächlich zum Zwecke der Haut- oder Kopfhautdesinfektion auf die menschliche Haut bzw. Kopfhaut aufgetragen werden oder damit in Berührung kommen) bis PT22/Flüssigkeiten für Einbalsamierung und Taxidermie ist alles, was irgendein Leben zweckmäßig tötet, aufgelistet und in Schubladen sortiert: Hauptgruppe 1 Desinfektionsmittel (darin "Desinfektionsmittel und Algenbekämpfungsmittel, die nicht für eine direkte Anwendung bei Menschen und Tieren bestimmt sind" und die simple Kategorie "Trinkwasser", Desinfektionsmittel für Trinkwasser), Hauptgruppe 2 Schutzmittel (darin das beruhigende PT12, Schleimbekämpfungsmittel), und so geht es weiter bis Hauptgruppe 4 Sonstige Biozidprodukte, letztere ein wenig unbefriedigend, denn keine Klassifikation ist vollständig, in der es Reste gibt, Restkategorien sind ein Ausdruck von Ratlosigkeit und mangelhaftem kognitiven Zugriff, wenn sie nicht sogar ein Einfallstor sind für das ganze Gebäude unterwandernde Fremdkörper. Denn letzten Endes ist die Restkategorie genau die Stelle, wo ein Ding eben doch der Klassifikation entwischt. Denn alles, was in die Restkategorie fällt, ist ja per definitionem anderweitig nicht klassifizierbar -- und führt also die Klassifikation selbst ad absurdum.


Lucan, V 374

(iuventutem) decumis castris Brundisium attingere iubet "mit dem zehnten Lager" also "in neun Tagen"

382 (servire) togae: wieder eine dieser reizenden Metonymien. Steht hier für denjenigen, der sie trägt, i.e. der Privatmann, der Bürger. (Über Caesar, dem alle in Rom gehorchen, obwohl er über keinerlei Amtsgewalt verfügt.) Vgl. III 108 privatae vocis (testes)

385 omnis voces "alle Stimmen" --> "alle (Amts-)Titel"

392 fingit sollemnia Campus "das (Mars-)Feld" --> "die Volksversammlung" (Vgl. "der Kreml" --> "die russische Regierung")

Deutlich jetzt die Haltung der Erzählstimme zu Caesar. Das Prozedere, mit dem der Feldherr sich zum Consul und Dictator ausrufen läßt, ist eine Farce; die Zeiten sind "traurig" (maesta tempora, der gleiche Wortstamm wie für die Beschreibung der Stadt, in die der neue Herrscher Einzug hält, durch Lentulus verwendet, vgl. III 30, maerentia tecta; die Urne ist leer; das Volk ist gar nicht zur Abstimmung zugelassen. Was hier abgezogen wird, ist die bloße Show, das Spektakel einer Republik. Dieser Befund wird noch unterstrichen durch die Metonymie Campus; indem das Marsfeld selbst täuscht, beraubt, aufruft und die leere Urne schüttelt, bekommt der Vorgang etwas Gespenstisches und Seelenloses. Nur ein Augur wird genannt, der "sich taub stellt" gegen das unheilverkündende Donnern; das nächste Verb ist im Passiv, die von der falschen Seite fliegende Eule "wird aufgefaßt" als gutes Zeichen. Auch hier keine handelnde Person. Nur der Schatten Caesars, der das alles in Gang gesetzt hat. Die Stelle schließt an 113f an, wo es heißt, die Herrschenden fürchteten die Zukunft so sehr, daß sie die Orakel verboten. Hier kommt das Vorzeichen ungerufen, wird aber ignoriert. Vgl. auch die Anfangsszene bei der Überquerung des Rubicon, I 202ff, wo Caesar die warnende Erscheinung der personifizierten Roma zwar nicht ignoriert, sich aber ihr gegenüber nicht ohne Selbstbewußtsein rausredet, er komme nicht als Feind Roms.

397f (perit) ... quondam veneranda potestas / iuris inops "So geht zum erstenmal die einst verehrungswürdige Amtsgewalt, beraubt ihrer Rechte, zugrunde". Das schließt unmittelbar an die Rede des Lentulus zu Beginn von Buch V an (29f): non umquam perdidit ordo / mutato sua iura solo "Unser Stand hat niemals seine Rechte verloren." Doch, hat sie, de facto, denn was ist das Recht ohne die Gewalt, es durchzusetzen? In Rom sitzt Caesar, nicht Pompeius, und Caesar wird da hockenbleiben bis zu seiner Ermordung und der nächsten Runde Bürgerkriege. -- Interessant ist, wie hier mit dem Begriff des Rechts (ius) gespielt wird. Für Lentulus ist es etwas Unveräußerliches, das der Rechtsträger auch dann besitzt, wenn ihm die Mittel fehlen, es einzuklagen; die Erzählstimme ist realistisch, für sie ist ius durchaus verlierbar oder bestreitbar, es reicht, daß einer wie Caesar kommt und Tatsachen schafft.

402 (Feriae) Latinae: Die Bundesfeier aller latinischen Städte auf dem Albanerberg. (Der neue Pauly s.v. Feriae Latinae). Die Feriae Latinae mußten vom Consul gleich nach Amtsantritt angesagt werden; erst danach durfte er seine Amtsgewalt als Heerführer ausüben. Das heißt, die Farce bei Caesars "Consulat" wird in allem Pomp durchgespielt. Interessant, daß ein Jahr zuvor, I 550, dieselbe Feier durch Natureireignisse gestört wurde, vgl. den langen Katalog der warnenden Vorzeichen in Buch I (526--583):

... Vestali raptus ab ara
ignis, et ostendens confectas flamma Latinas
scinditur in partes geminoque cacumine surgit

"vom Vestaaltar wird das Feuer fortgerissen, und die Flamme, die das Ende der Feriae Latinae anzeigt, spaltet sich und steigt mit einer Zwillingszunge empor."





Mittwoch, 21. Juli 2021

(Weiter in der Rede Caesars an die meuternden Soldaten)

nec melior mihi uestra fides, si bella nec hoste
nec duce me geritis. quisquis mea signa relinquens
non Pompeianis tradit sua partibus arma,
hic numquam uult esse meus. ...

Lange gegrübelt, was das heißen soll. Schon die sprachliche Deutung macht Probleme: "Eure Treue (wäre? ist?) für mich nicht besser, wenn ihr Kriege weder mit mir als Feldherrn noch mit mir als Feind führt (Präsens Indikativ). Wer auch immer meine Feldzeichen verläßt und dann seine Waffen nicht Pompeius' Partei anbietet, der will niemals mein Mann sein." Das Lateinische ist eine Sprache ohne Schleifchen, jede Aussage muß mit einem Minimum an Zeichen auskommen. Das bedeutet für den modernen Leser (aber auch für einen zeitgenössischen Leser, der aus einem anderen sprachlich-literarischen Kontext stammt, etwa dem des griechischen) bedeutet das die Aufgabe, interpretierend das zu restituieren (quasi aufzuklappen), was im knappen Ausdruck weggelassen oder nur impliziert (quasi eingefaltet) ist. Dazu gehört für deutschsprachige Leser, daß sie beispielsweise Fokuspartikeln wie erst, noch, schon, nur, doch und ja, oft aber auch ganze Modalverben ergänzen müssen. Im oben angeführten Abschnitt fehlt gleich mal eine Form von esse und damit die Information über Tempus und Modus. Erst das Verb geritis gibt Auskunft, daß der si-Satz als Realis zu verstehen ist. Intuitiv würde man die Stelle als verquaste Formulierung des Dictums lesen wollen, Wer nicht für mich ist, ist wider mich. Aber wenn man genau hinschaut, steht das da nicht. Ich versuche eine andere Paraphrase: "Ihr steht vor mir keinesfalls besser da, wenn ihr euch entscheidet, weder mit mir zu kämpfen noch gegen mich. Wer mich verläßt, ohne sich Pompeius anzuschließen, konnte mein Mann nicht gewesen sein." Was das numquam vult esse meus schon arg strapaziert. Vielleicht so: "wer .... der hat es nie ernst mit mir gemeint, der will niemals mein Mann gewesen sein." (Caesar spricht seinen Legionären damit rückwirkend Treue und Engagement ab, eine Beleidigung und Provokation mit dem Zweck, das Ehrgefühl der Zurechtgewiesenen zu triggern.) Und noch freier: "Mit so unentschiedenen Lappen kann ich nichts anfangen; wenn ihr Männer seid, dann bleibt hier oder geht zu Pompeius, aber wenn ihr hier einen auf Neutralität und Frieden macht, dann war eure bisherige Treue wertlos, steht eure ganze bisherige Tapferkeit in einem fragwürdigen Licht da, habt ihr bei mir erworbene Ehre und Ansehen verspielt."

Dazu noch V 358: tradite nostra uiris ignaui signa Quirites. "(verlaßt das Lager und) übergebt als bräsige Bürger unsere Feldzeichen (echten) Männern." -- (Dunkel erinnere ich mich an ein Proseminar mit Peter Frisch (Uni Köln), wo von dieser oder einer anderen Stelle die Rede war. Ausgehend von einem ganz anderen Text, erklärte der Dozent uns damals, die Anrede Quirites sei der springende Punkt; damit werde ein Assoziationsfeld aufgemacht, das ein echter Soldat niemals für sich akzeptieren könne; damit habe Caesar seine Legionäre in dieser riskanten Lage noch einmal herumgekriegt. Seitdem muß ich jedesmal, wenn ich den Ausdruck Quirites irgendwo lese, an dieses Seminar denken. Es ist durchaus faszinierend und auch rührend, wie einem die Lektüre Jahre und Jahre später genau die Textstelle unter die Augen bringt, die dereinst in einem Proseminar erwähnt wurde, und deren Quelle man natürlich längst vergessen hatte.)





Dienstag, 20. Juli 2021

(Lucan V 300--339)
Wie kriegt man eine unzufriedene, zur Meuterei bereite Menge Soldaten wieder gefügig? Man packt sie bei ihrer Ehre, ihrem Stolz und ihrem Ehrgeiz. imbellis anima "unkriegerischer Charakter", fugam meditata iuventus "auf Desertion sinnende Mannschaft", lassata iuventus "verweichlichte Mannschaft", das ist das Vokabular, das Caesar in seiner Rede an die unzufriedenen Legionäre verwendet: ihr könnt gehen, ihr Feiglinge; überlaßt mich meinem Krieg und meinem Schicksal; aber für jede eurer abgelegten Waffen wird sich ein echter Mann finden. Ihr glaubt doch nicht, daß halb Italien mit einer gewaltigen Flotte Pompeius auf seiner Flucht folgt, mir aber meine Siege keine Truppe verschaffen werden, die euch eurer Belohnung fürs Kämpfen berauben und mich auf meinem Triumphzug begleiten wird? So führt Caesar den Soldaten die vermeintlichen Folgen ihrer Desertion vor Augen: als verachtete Schar von Greisen werdet ihr, die römische Plebs, meinen Triumph erleben. Mit anderen Worten: jetzt kneift ihr, aber später, wenn wir gesiegt haben und den Lohn unserer Mühe ernten werden, dann werdet ihr nicht dabei gewesen sein. Dabei stellt Caesar diese Konsequenz als die einzige mögliche dar. Was in einer Rede nicht gesagt wird, existiert nicht. Und den unzufriedenen Legionären fehlt der Weitblick oder auch einfach die Intelligenz, sich aus diesem Entweder-Oder zu befreien und dritte oder vierte Wege zu imaginieren. Oder auch nur eine Güterabwägung aufzumachen. Aber wie ja Unzufriedene oft einfach nur unzufrieden sind, haben auch die meuternden Soldaten keine Ahnung, was sie eigentlich wollen, nur, wovon sie langsam genug haben. Eine konkrete Forderung könnten sie nicht formulieren. -- Zweiter Redetrick: Den Soldaten gegenüber den Gleichgültigen spielen: Geht doch! Das rührt mich gerade so, wie es den Ozean rührt, der von den Flüssen nicht wächst und, sollten alle Quellen versiegen, nicht schrumpfen würde, ich brauche euch nicht, mir doch egal, macht, was ihr wollt. Ein starker Bluff, denn Caesar weiß (vgl. V 254 scit non esse ducis strictos sed militis enses "Er weiß, daß es nicht die gezückten Schwerter des Anführers sind, sondern der Soldaten) genauso gut wie die Legionäre, daß beide, Feldherr wie Soldaten, aufeinander angewiesen sind, nicht zuletzt durch die gemeinsame Schuld, die sie am Bürgerkrieg tragen.

V 335f:

Caesaris an cursus uestrae sentire putatis
damnum posse fugae? ...

Wenn es einen Preis für das verschwurbelste Hyperbaton gäbe, diese anderthalb Verse wären ein guter Kandidat. In normaler Stellung, also, wo alles, was zusammengehört, auch zusammensteht, lauten sie so:

An Caesaris cursus damnum vestrae fugae sentire posse putatis? "Oder glaubt ihr, daß Caesars Marsch durch eure Flucht einen Schaden spüren könnte?"


Bei der nächsten Internetbestellung mal daran denken: Diocletian erließ ein Edikt, demzufolge sich der Preis für eine Wagenladung Getreide alle fünfzig Meilen verdoppelte. Und aus historischer Quellen kann man errechnen, daß eine Wagenladung Feuerholz nicht über eine Entfernung von mehr als fünfzehn Kilometer gewinnbringend verkauft werden konnte. Nimmt man den Wasserweg aus, waren Transportkosten über Land bis in die jüngste Vergangenheit so groß, daß man besser nichts transportierte, jedenfalls nichts Schwerers oder Sperriges. (Scott 2017:54)

(James C. Scott 2017. Against the Grain. A Deep History of the Earliest States. New Haven & London: Yale UP.)





Montag, 19. Juli 2021

Zur Frage, für wen eigentlich -- wenn überhaupt -- in den Pharsalia die Erzählerfigur Partei ergreift, gibt der Vergleich zwischen III 103--109 (der Beschreibung von Caesars Einzug in Rom) und V 30--34 (der Bewertung dieses Besitzergreifens durch den scheidenden Consul Lentulus in Epirus) einen Hinweis:

... Phoebea Palatia conplet
turba patrum nullo cogendi iure senatus
e latebris educta suis; non consule sacrae
fulserunt sedes, non, proxima lege potestas,
praetor adest, uacuaeque loco cessere curules.
omnia Caesar erat: priuatae curia uocis
testis adest. ...

"Der Apollotempel füllt sich mit einer Schar Patrizier, die Caesar -- ohne Amtsgewalt, den Senat einzuberufen -- aus ihren Schlupfwinkeln hatte herausholen lassen; die geheiligten Sitze glänzten nicht mit ihren Inhabern, den Konsuln, noch war der nächstgeringere in der Amtsgewalt, der Prätor, anwesend, und leer ließen die Stühle ihren Platz. Alles mußte Caesar in einer Person spielen, und die Curie ist Zeuge der Stimme eines Privatmannes."

Wenn nun Lentulus im Walde pfeift und darauf pocht, daß Rom dort ist, wo der Senat ist; daß Caesar zwar die Stadt besitzt, aber nicht die Römische Republik; daß das Recht vom Senat, den rechtmäßig gewählten Consuln und übrigen Amtsträgern konstituiert wird -- dann spricht er aus, was ihm schon zwei Bücher zuvor die Erzählstimme vorauseilend bestätigt hat. Und er tut es unter Berufung auf ganz ähnliche Bilder:

... maerentia tecta
Caesar habet uacuasque domos legesque silentis
clausaque iustitio tristi fora; curia solos
illa uidet patres plena quos urbe fugauit:
ordine de tanto quisquis non exulat hic est.

"Caesar besitzt traurige Gebäude und leere Häuser und ruhende Gesetze und ein Forum, das vom Ausnahmezustand geschlossen ist; jene Kurie erblickt nur die Patrizier, die aus der Stadt geflohen waren, bevor sie verlassen wurde: Jeder aus unserem großen Kreis, der nicht (anderswo) im Exil ist, ist hier."

Die Erzählerfigur läßt also Lentulus noch einmal aussprechen, was sie selbst bereits konstatiert hat, und ergreift damit im vorhinein Partei zumindest für das, was Lentulus in seiner Rede beschwört: die res publica libera Romana.





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