Donnerstag, 15. Juli 2021

Lucan, V 246ff

... seu, praemia miles
dum maiora petit, damnat causamque ducemque
et scelere inbutos etiamnunc uenditat enses.

"... oder sei es, daß, indem sie höhere Entlohnung fordern, die Soldaten Sache und Feldherrn verraten und ihre bereits vom Verbrechen befleckten Schwerter abermals zum Verkauf anbieten." -- Aus solchen Stellen wird deutlich, welche Haltung die Erzählstimme zum Bürgerkrieg einnimmt. Freilich ist noch nicht ausgemacht, daß die Erzählstimme es auch mit Pompeius hält.

249ff

haud magis expertus discrimine Caesar in ullo est
quam non e stabili tremulo sed culmine cuncta
despiceret staretque super titubantia fultus.

Es geht eben lateinisch so manches, was deutsch nicht geht. "Aus keiner Klemme konnte Ceasar besser ersehen, aus einer wie nicht stabilen sondern schwankenden Höhe er auf alles hinabblickte, etc." Auf Deutsch müßte man vermeiden, einen indirekten Fragesatz mit wie (Peter begriff, in einer wie schwierigen Lage er sich befand) und einem negierten Adjektiv zu konstruieren: *Peter begriff, in einer wie nicht leichten Lage er sich befand. Wir können uns bei der Übersetzung damit behelfen, daß wir ein Antonym zum ursprünglichen Adjektiv suchen und die Verneinung fallen lassen, also etwa "unsicher" für non stabilis: "aus einer wie unsicheren und schwankenden Höhe". Der Satz ist auf Deutsch indes immer noch holprig, weil wir indirekte Fragen mit wie nicht gerne aus einem Attribut heraus bilden. Das Ergebnis einer Operation, die aus einem Aussagesatz wie Caesar schaute aus einer unsicheren Höhe herab. das unsicher in unsichere Höhe zum erfragten Element einer indirekten Frage macht, ist immer holprig. Besser ist es, man baut den Satz so um, daß eine Aussage mit prädikativem Adjektiv entsteht, A war b, die Höhe war unsicher: "Caesar begriff, wie unsicher und schwankend die Höhe war, aus der er auf alles hinabblickte"





Mittwoch, 14. Juli 2021

Lucan V 141-246: Appius (Appius Claudius Pulcher, Konsul 54 v. Chr., Unterstützer Pompeius, von diesem als Statthalter Achaeas eingesetzt; starb noch vor Pharsalos 48 auf Euböa) läßt sich in Delphi weissagen und erhält den Bescheid, er werde von Kriegen unbehelligt auf Euböa seine Ruhe haben. Natürlich mißversteht er die Weissagung, hält sich schon für den neuen Herrscher von Chalcis und begreift nicht, daß es die Ruhe des Todes ist, die ihn erwartet.

Schaum vorm Mund, Augenrollen, unartikuliertes Schreien, Krämpfe -- besessen zu sein, ist kein schönes Erlebnis, und sei man auch besessen von einem Gott. Der Kontakt mit dem Göttlichen, dem Numen, gleicht literarisch in mancherlei Hinsicht dem Kontakt mit Geistern und Verstorbenen, wie wir sie aus neuzeitlichen Narrativen kennen. Indem bei Lucan ein Götterapparat fehlt, lernen wir niemals die rationale, auf Menschenmaß gebrachte, dem Verstand zugängliche Seite des Unheimlichen kennen. Wir sehen nur Zeichen, im Falle der Apollopriesterin in Delphi könnte man sagen, Symptome, die auf die Anwesenheit des Numen deuten. Wir sehen das Walten, die Wirkung; verborgen bleibt der Gott selbst, nicht allein für den ratsuchenden Appius, sondern auch für den Leser. Meine These dazu ist, daß das furchterregende Numinose die antike Entsprechung des modernen Geister- und Gespenstergrusels darstellt.

Noch zwei Metonymien:

  • V 206 vindicis an gladii facinus poenasque furorem: furor "Raserei"; hier "Größenwahn", "die Tat des rächenden Schwerts und die Strafe für den Größenwahn".

  • V 233 (infesta) tumidis: tumidus ist eigentlich "geschwollen", hier aber "allzu hochfahrend, stolz, übermütig"; "die den Übermütigen feindliche (Nemesis)"





Dienstag, 13. Juli 2021

Lucan V 92f

siue canit fatum seu, quod iubet ille canendo,
fit fatum?

Verkündet die delphische Gottheit das Schicksal (fatum), oder wird erst fatum, was die Gottheit im Verkünden befiehlt?

111-114

... non ullo saecula dono
nostra carent maiore deum, quam Delphica sedes
quod siluit, postquam reges timuere futura
et superos uetuere loqui. ...

"Keines größeren Geschenks der Götter entbehren wir, als daß Delphi schweigt, seit die Könige die Zukunft zu fürchten begannen und den Göttern zu sprechen verboten." -- Wenn man hier "Götter" durch "Wissenschaft" ersetzt, werden einige Parallelen zu unseren eigenen Zeit sichtbar.

141f

metus ipse dat fidem negatis numinibus: fides ist ein schwieriges Wort, an dem ich ständig scheitere. Laut Wörterbüchern und Lateinlehrern heißt es "Vertrauen, Glauben, Treue", aber meist heißt es etwas ganz anderes, hier beispielsweise soviel wie "Echtheit", "Beweis" oder sogar "Verräterisches Anzeichen", also: "Die Furcht (der Priesterin) selbst beweist die (Anwesenheit der) Götter, die sie verleugnet." Oder: "Gerade, daß sie sich fürchtet und sie verleugnet, beweist, daß die Götter da sind." Wörtlich: "Die Furcht gibt den verleugneten Göttern Echtheit."


Florian Freistetter über Kippelemente im Klimasystem, oder: wenn die Tasse vom Tisch gerutscht ist, ist es zu spät.


Derselbe Blogger zur Frage, ob die Kernenergie als Klimaretter taugt. Seine Zusammenfassung:

  • Atomkraftwerke sind tendenziell klimafreundlicher als die Nutzung fossiler Brennstoffe.
  • Atomkraft ist aber weder nachhaltig, noch erneuerbar.
  • Der Ausbau der Atomkraft macht den Bau neuer Kraftwerke erforderlich und die Zeit dafür haben wir nicht.
  • Atomkraft ist eine Technologie die in enger Verbindung mit Atomwaffen steht und deswegen kritisch zu betrachten.
  • Die Frage des Atommülls ist ungelöst und wird das auch noch lange bleiben.

Freistetter schlägt allerdings vor, zumindest die noch am Netz befindlichen Kernreaktoren innerhalb der Auslegungslaufzeiten und natürlich unter dem Vorbehalt des sicheren Betriebs weiter laufen zu lassen. Da sie ja bereits in Betrieb sind und nicht erst in zehn Jahren vielleicht ans Netz gehen, würden sie heute einen gewissen Beitrag zur Reduktion der Treibhausgasemission leisten und der Menschheit sozusagen Zeit für andere Lösungen erkaufen.





Montag, 12. Juli 2021

Pfeifen im Walde: "Als der tarpeische Sitz von gallischen Fackeln niedergebrannt war und Camillus sich in Veii aufhielt, da war eben dort Rom. Niemals hat, wenn er den Ort wechseln mußte, unser Stand seine Rechte verloren." -- Doch Rom, sieht man förmlich Caesar mit süffisantem Lächeln antworten, ist nicht dort, wo das Recht behauptet, sondern dort, wo es mit Truppen durchgesetzt wird. Lentulus läßt mit dem Galliervergleich die Anhänger Caesars zu äußeren Feinden Roms werden, dabei ist Caesar, sind seine Soldaten, geradeso Römer wie Pompeius und seine Anhänger. Formal mag Caesar ein Usurpator sein, aber alle Rechte nützen dem militärisch Unterlegenen nichts. Caesar besitzt Häuser in Trauer, leere Hallen, zum Verstummen gebrachte Gesetze, vom Ausnahmenzustand leergefegte Plätze, die Senatoren geflohen: Doch hält Caesar Rom, nicht Pompeius, und keine Beschwörung des traurigen Besitzes, in den Caesar gewaltsam gekommen ist, kann über diese Tatsache hinwegtäuschen.

V 58-64:

et tibi, non fidae gentis dignissime regno,
fortunae, Ptolemaee, pudor crimenque deorum,
cingere Pellaeo pressos diademate crinis
permissum. saeuum in populos puer accipis ensem,
atque utinam in populos! donata est regia Lagi,
accessit Magni iugulus, regnumque sorori
ereptum est soceroque nefas.

"Und dir, der Herrschaft würdig über ein treuloses Volk, dir Beschämung des Schicksals und Vorwurf der Götter, dir erlaubt man, dein vom ägyptischen Diamanten plattgedrücktes Haar (damit) zu kränzen. Ein Knabe noch, bekommst du ein Schwert, um damit gegen Völker zu wüten -- ach wären es doch nur deine eigenen Völker. Man schenkt ihm die Königsburg Ptolemäus' I, der (spätere) Mörder Pompeius' besteigt den Thron, das Reich wird der Schwester fortgenommen und dem Schwiegervater die Mordschuld am Schwiegersohn erspart. -- Ok, sortieren wir das mal. Der Knabe ist Ptolemäus XIII, seine Schwester Kleopatra (ganz richtig, die Kleopatra), in Ko-Regentschaft mit ihm auf dem ägyptischen Thron, wird 49 v. Chr, vertrieben, Ptolemäus XIII von Pompeius und der Senatspartei unter dem Druck der Verhältnisse als Alleinherrscher bestätigt. Die Stelle bei Lucan legt nahe, daß Ptolemäus von der Senatspartei im Machtkampf mit seiner Schwester Unterstützung bekam und im Gegenzug Hilfe für Pompeius in dessen Machtkampf gegen Caesar versprach. Die Sache ging für Pompeius nicht gut aus, denn als er nach der Niederlage bei Pharsalos zu Ptolemäus floh, wurde er von diesem kurzerhand ermordet, um nicht in den Bürgerkrieg mit hineingezogen zu werden. (Magni iugulus, "die Ermordung des (Pompeius) Magnus", wieder so eine Metonymie, auflösbar nur unter Zuhilfenahme von Geschichtsbüchern). soceroque nefas erg. ereptum est: Da schon Pompeius schon von Ptolemäus umgebracht worden ist, muß sich Caesar dabei nicht mehr die Hände schmutzig machen.


Wenn ich spät dran bin, lerne ich stets neue Arten kennen, mit denen Menschen andere an der Fortbewegung hindern können.Und, ja: Man möchte mit Steinen schmeißen, manchmal, ich auch.





Montag, 5. Juli 2021

Ovid, Fasti I 276-282

'at cur pace lates, motisque recluderis armis?'
nec mora, quaesiti reddita causa mihi est:
'ut populo reditus pateant ad bella profecto,
tota patet dempta ianua nostra sera.
pace fores obdo, ne qua discedere possit;
Caesareoque diu numine clausus ero.'

"'Aber warum bist du im Frieden verborgen und wirst bei Mobilmachung aufgeschlossen?' -- Unverzüglich erhielt ich Antwort: 'Damit das Tor ohne Riegel offensteht für die Heimkehr des Volks, wenn es zum Krieg aufgebrochen ist. Im Frieden versperre ich die Türflügel, damit er nicht irgendwohin entweichen kann; nach Caesars Willen werde ich lange Zeit verschlossen bleiben.'" -- Die Vorstellung vom Frieden als einem flüchtigen Ding, das man einsperren muß, damit es nicht abhaut -- auf so eine Idee hat wohl nur ein derart militaristisches Volk wie das der Römer kommen können.

Ianus, ein alter italischer Gott, dargestellt mit zwei Gesichtern, eins nach vorne, eins nach hinten blickend (Vergangenheit und Zukunft?) ist der Schutzherr aller Anfänge, Türen, Ein- und Durchgänge und des Monats Januar, der von ihm auch seinen Namen hat. In den Fasti läßt Ovid den Gott selbst auftreten; passenderweise gehört der Beginn des Beginns, die Einführung in den ersten Monat des Festkalenders dem Gott allen Beginnens. Ianus erscheint (lucidior visa est quam fuit ante domus "heller als vorher wurde das Haus") dem Dichter, während der über seinen Schreibtäfelchen grübelt (haec ego cum sumptis agitarem mente tabellis "Als ich diese Fragen vor meinem Schreibtäfelchen erwog"), und beantwortet in der Folge allerlei Fragen ("warum reicht man am 1. Januar Datteln und Honig unter einem schneeweißen Krug?") zu dem um ihn selbst entstandenen Brauchtum ("damit der Geschmack der Sache folge und das Jahr in seinem Lauf süß werde"). (Kurios, wenn ein Gott einem Menschen erklärt, warum er so und nicht anders verehrt wird. Aber naja, der Gott wird's wohl wissen.)

I 178 omina principiis, inquit, inesse solent.
-- Das hat Ovid doch von Herrmann Hesse geklaut!





Donnerstag, 1. Juli 2021

Lucan, Pharsalia V 1-27. Zu Beginn von Buch V, Anfang des Jahres 48 V. Chr. sind die Anführer der Bürgerkriegsparteien nach Gewinnen und Verlusten auf beiden Seiten immer noch "gleichauf" (pares). Lentulus, abdankender Konsul des Jahres 49, beruft die geflohenen Senatoren zur Sitzung nach Epirus. Dort versammelt sich, was man heute wohl eine Exilregierung nennen würde, mit allem Schmuck und allem verbliebenen Pomp; aus dem Feldlager (castra) wird die Kurie. Die Rede, mit der Lentulus die Senatoren dazu aufruft, optimistisch zu sein, greift die Invokation der Symnolik der Amtsgewalt durch die Erzählerstimme (tot strictas iure securis / tot fasces "all die blanken Beile, all die Rutenbündel") wieder auf. Blickt nicht darauf, in welchem winkel der Erde wir uns notgedrungen versammeln; schaut nicht darauf, wie fern wir von Rom sind; lenkt euren Blick auf die Erscheinung eurer Schar: Wir sind der Senat. Egal, wo wir uns befinden, bei den Hyperboräern oder am Äquator, die Ämterwürde folgt uns, der Oberbefehl ist unser Begleiter (imperiumque comes). -- Man kommt nicht umhin, in solchen Äußerungen etwas Verzweifeltes zu sehen. Lentulus klammert sich ans Recht, an die Rechtmäßigkeit, an die große, jahrhunderte fortgesponnene Erzählung der Römischen Republik -- an die ja doch keiner derer, die über Legionen verfügen, mehr glaubt, auch Pompeius nicht. Aber auch das Recht benötigt die Beile der Gewalt, da hilft keine Beschwörung.


Ein hübsches Gedichtchen.


Ein Rat, dem ich auf diesen Seiten folge.






Mittwoch, 30. Juni 2021

Luc. IV 805 sanguine poenas Asso: In der ennianische Phrase klingen komplexe ideologische, politische und religiöse Bezüge auf. Kommt in der Aeneis viermal vor, aber auch in Ovid, Fasti (IV, 239) Mit dem Bezug auf den Urmythos Roms, den Brudermord des Romulus an Remus, wird über die Formulierung bei Ennius nicht allein die katastrophale historische Niederlage Curios, sondern auch der Bürgerkrieg insgesamt, sowie, könnte man sich denken, sogar die späteren dynastischen Kämpfe der Kaiserzeit auf eine mythische Ebene gehoben, erscheint die Jetztzeit als Ende eines Kontinuums mit dem Archaischen.

812 omne ... senium. Asso: senium = "Alter" im Sinne von "Hinfälligkeit, Verfall" Wieder so eine schwierige Metonymie: "Die Kunde (der Ruhm) davon wird von diesen Taten alle Vergänglichkeit zurückweisen." Die sprachliche Deutung wird erschwert durch die implizite doppelte Verneinung von Vergänglichkeit (also das Nicht-Bestehen) und zurückweisen (also das Nicht-Zulassen). Die fama wird nicht zulassen, daß die Tat nicht (im Gedächtnis) bestehen bleibt = die Tat wird durch die fama erhalten bleiben (nicht nicht-vergehen).

Buch IV abgeschlossen: Caesar vor Ilerda -- die große Flut -- die verfeindeten Soldaten pfeifen auf den Krieg -- werden zur Raison gebracht -- Durst im Lager des Afranius und Kapitulation -- Schauplatzwechsel. Dalmatien, Flucht auf Fässern -- Vulteius und sein Floß werden festgesetzt, Kampf und Selbstmord -- Schauplatzwechsel, Libyen, Curios Feldzug -- Einschaltung der Antaeus-Geschichte -- Curios Niederlage gegen Iuba und Tod.

(Asso, Paulo. A Commentary on Lucan, De bello civili IV. Berlin, New York: De Gruyter 2010)


Die Idee des Warpantriebs ist alt und wie so viele technische Ideen wurde sie von einem Science-Fiction-Autor ersonnen. Vor ungefähr neunzig Jahren erschien in der amerikanischen Zeitschrift Amazing Stories eine Geschichte, in der diese Umgehung des Einsteinschen Dictums, daß nichts sich schneller als das Licht bewegen könne, zum ersten Mal formuliert wurde: Was, so der Gedanke, wenn der Raum selbst sich bewegte, die Massen darin aber hinsichtlich einer sie umgebenden Raumblase stillstünden? Die Beschränkung auf Unterlichtgeschwindigkeit gilt für alles, was eine positive Masse hat -- nichts spricht dagegen, daß der Raum selbst, etwa eine Welle im Raum, sich überlichtschnell fortpflannzt. Könnte man nicht auf einer solchen Welle reiten wie ein Surfer? Natürlich bleiben da ein paar kleine technische Probleme, aber immerhin verletzt ein solcher Ansatz nicht die Relativitätstheorie. -- In diesem Video wird das Prinzip erklärt und ein paar Probleme aufgezählt. Normalerweise nimmt man die Einsteinschen Feldgleichungen, um ausgehend von einer bekannten Masse die dazu gehörende Raumzeitgeometrie zu berechnen. Der mexikanische Astrophysiker Miguel Alcubierre ist den umgekehrten Weg gegangen und hat, ausgehend von der Raumzeitgeometrie eines angenommenen Warpantriebs rückwärts gerechnet, ob es dazu mögliche Lösungen der Gleichung gibt. Vorläufig kann man nur sagen, daß die Gleichung einen solchen Warpantrieb zwar zulassen; aber nur weil sich die Gleichungen so auflösen lassen, daß sie die Möglichkeit des Warpantriebs nicht ausschließen (etwa, indem irgendein Wert gegen Unendlich geht, was immer ein schlechtes Zeichen ist), bedeutet nicht, daß er auch möglich ist. So setzt beispielsweise der Alcubierre-Drive, die Existenz von exotischer Materie und negativer Energie voraus. Nicht gerade das, was sich mit Schmieröl und Schraubenschlüssel hinkriegen ließe.





Dienstag, 29. Juni 2021

Zwei faszinierende Vorschläge zur Etymologie aus der Antike überlieferter Ethnonyme Nordafrikas: Luc. IV 681 Mazax könnte nach Oric Bates (1914) auf eine Wurzel MZGH zurückgehen, die "edles oder freies Volk" bedeute. Gsell (1927) und Weinstock in RE XIV.2.2349-52 s.v. "Mauretania" schlagen als Herkunft für "Mauren", "Mauretanien" usw. das semitische Maouharim, "Volk des Westens" vor.
(Bates, Oric. 1914. The Eastern Libyans: An Essay. London: F. Cass.)
(Gsell, Stéphane. 1927. Histoire ancienne de l'Afrique du nord: 5. Les royaumes indigènes. Organisation sociale, politique et économique - 6. Les royaumes indigènes. Vie matérielle, intellectuelle et morale, 8 vols. Paris: Hachette.)

702-710 Monolog als Spekulation darüber, was Curio vor seiner Ansprache an die Soldaten in Caesar BC 2.32 im Kopf gehabt haben könnte.

737-739

... leti fortuna propinqui
tradiderat fatis iuuenem, bellumque trahebat
auctorem ciuile suum. ...

Asso dazu: "L. says that the bellum ciuile is claiming Curio as its auctor (Duff’s translation in the Loeb), or better ‘civil war was claiming the man who made it’ (Bramble 1982,548)." Curio (der iuvenis der angeführten Passage) ist nach unseren Quellen der Überbringer des Ultimatums, das Caesar zu Beginn des Jahres 49 dem Senat stellt, also diejenige Figur, die den Krieg unmittelbar auslöst. -- Man könnte die Passage aber auch anders übersetzen, indem man nämlich fortuna als Subjekt beibehält und das suum in auctorem suum darauf bezieht: "Fortuna hatte den Mann dem Schicksal übergeben und zog den Bürgerkrieg als ihr Instrument (auctor) heran." (Na ja, vielleicht auch nicht.)


Noch was zum Thema "Katastrophen ziehen mich an": Seit längerem habe ich mich nicht mehr mit dem Rätsel um Flug MH 370 beschäftigt. Damals verschwand eine Boeing 777 der Malaysian Airlines auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Peking. Bislang hat man ein paar Wrackteile gefunden, die tausende Kilometer von der möglichen Unfallstelle entfernt an Land gespült wurden. Dieses Filmchen erzählt die Geschichte der bisherigen Ermittlungen und geht ein paar Erklärungsansätze (Entführung, Hackerangriff, Selbstmord des Piloten, Brandunfall) durch. Meine eigene Vermutung dazu ist, daß es bei MH 370 einen Zwischenfall ähnlich demjenigen gegeben hat, der 2005 die Besatzung von Helios-Airways-Flug 522 außer Gefecht setzte. Demnach wäre nach dem letzten Kurswechsel niemand mehr an Bord handlungsfähig gewesen und das Flugzeug steuerlos weitergeflogen, bis der Treibstoff verbrannt war, ehe es schließlich auf dem Ozean zerschellte. Aber was immer damals passiert ist: Jede der Hypothesen klingt letztendlich banal; es gibt wohl keine Erklärung, die faszinierender wäre als das Rätsel, an dessen Stelle sie im Aufklärungsfall treten würde.





Montag, 28. Juni 2021

Parallel zum Lucan Caesars Bürgerkrieg aufgeschlagen. Namen recherchiert: Lentulus und Marcellus sind die beiden im Jahr des Kriegsbeginns amtierenden Konsuln. Bei dem erwähnten Scipio handelt es sich um Quintus Caecilius Metellus Pius Scipio. Er stand der Führungsriege um den jüngeren Cato nahe, agitierte gegen Caesar, war Prokonsul in Syrien und kämpfte als Imperator gegen die Parther. Er unterstützte Pompeius mit zwei Legionen. Nach der Schlacht von Pharsalos floh er nach Africa, wo er das Kommando über die Truppen des ermordeten Pompeius übernahm. Bei Thapsus von Caesar entscheidend geschlagen, beging er bei Hippo Regius Selbstmord. Es ist übrigens derjenige Scipio, gegen den Asterix und Obelix als Legionäre in Caesars Diensten in Asterix als Legionär zu Felde ziehen. Lucius Cornelius Lentulus Crus, den Caesar vergeblich versucht hatte, auf seine Seite zu ziehen, schloß sich Pompeius an und ging 49 nach Griechenland, dann in die Provinz Asia, wo er zwei Legionen aushob. Nach der Schlacht bei Pharsalos, an der er als Prokonsul teilnahm, floh er nach Ägypten, wo er gefangengenommen und getötet wurde. Gaius Claudius Marcellus, Caesargegner auch er, verließ 49 Rom, hob Truppen aus und ging gleichfalls nach Griechenland. Kommandierte Flotteneinheiten des Pompeius, wird nach 48 nicht mehr erwähnt. Beide Konsuln finden übrigens Erwähnung in Flavius Josephus' Antiquitates Iudaicae als Urheber eines Erlasses, der Kriegsdienstbefreiung für Juden römischen Bürgerrechts in der Provinz Asia einräumte.

Lucan IV 663:

felici non fausta loco tentoria ponens

Das ist mit dieser oxymoroiden Folge felici non fausta "glücklich nicht gelingend" sehr hübsch.


Speiseinsekten verbrauchen im Vergleich zu gewöhnlichem Schlachtvieh viel weniger Wasser, Futter und Fläche, setzen weniger CO2 frei und sind anspruchslos in der Aufzucht. Sie enthalten viel Protein und wenig Fett, sind reich an Vitaminen und Spurenelementen. Ob sie auch schmecken? Der Autor dieser Zeilen ist entschlossen, das herauszufinden. Leider sind sie momentan noch recht teuer (hunderte Euro pro Kilo gefriergetrocknete Heuschrecken etwa); hier gibt es aber eine interessante Methode, Soldatenfliegenlarven für den Eigenverzehr selbst zu züchten. (Am Ende gibt es ein Probeessen: eine Quiche larvaire.)






Donnerstag, 24. Juni 2021

Lucan IV, 637f, Kampf des Herkules gegen den Riesen Antaeus:

... numquam saeuae sperare nouercae
plus licuit: ...

Die noverca des Herkules ist Hera, der Zeus Sohn von einer Nebenfrau ein Dorn im Auge ist.

Ibid. 639: vidit ... cervicemque viri, siccam cum ferret Olympum Zu Olympus feminini generis finde ich a) eine Stadt in Kilikien und b) eine Stadt in Lykien. Beides paßt nicht. In den Übersetzungen ist von "Himmel" die Rede. Aber warum ist dann Olympus femininum? Oder worauf soll sich siccam sonst beziehen? Vielleicht auf cervicem? Dann hieße die Stelle: (Hera) sah (die vom Schweiß erschöpften Glieder und) den Nacken des Mannes, trocken (sogar damals), als er den Olympus trug (und jetzt schweißnaß).

Mehr Metonymie: Romana victoria (Römischer Sieg) für "Scipio". (IV 660)

Im Kommentar (Asso 2010) zu IV 598ff

hoc quoque tam uastas cumulauit munere uires
Terra sui fetus, quod, cum tetigere parentem,
iam defecta uigent renouato robore membra.

"The syntactical arrangement invites the reader to pause and marvel at Antaeus’ gift, as indicated by hoc quoque in emphatic position at the beginning of the sentence. Just as Terra accumulates her gifts to her son Antaeus, so does L. accumulate hyperbata to produce astonishment in his audience."

Der ätiologische Exkurs mit der Antaeuserzählung, meint Asso, dient nicht allein der Erzeugung von Spannung durch Verlangsamung. der Kommentator listet fünf Bezüge oder miteinander verknüpfte Themenfelder auf, die in der Episode evoziert werden. Jedes der fünf Felder arbeitet wiederum auf drei Ebenen, der literarischen, der historischen und der politischen. Die fünf Felder sind: der Schauplatz Libyen als elementare Naturgewalt; Libyen als geopolitische Entität; die Gigantomachie als Sinnbild für den Bürgerkrieg; der Bürgerkrieg als historisches Ereignis und als literarisches Sujet; die Erzählung von Herkules und Cacus in Vergils Aeneis als literarisches Vorbild. -- Die Revolte der Giganten gegen die olympische Ordnung könnte dann als Gleichnis für Caesars Revolte gegen die Ordnung der Republik gelesen werden. Asso bezeichnet die Hyperbole als "paradoxical", insofern in Lucans Dichtung Ordnung und Chaos ununterscheidbar sind. Daß Caesar die alte Ordnung der Republik niederwirft und sie durch seine eigene Ordnung ersetzt, bedeutet eine paradoxe Umkehr von Ordnung und Chaos, so daß gleich einem Vexierspiel Chaos bald als Ordnung, Ordnung bald als Chaos erscheint. Was eigentlich bedeutet, daß der Mythos nicht als Allegorie taugt; weder stehen die Olympier für die republikanische, noch die Giganten für die Caesarische Ordnung (oder respektive Chaos) -- warum aber schaltet ihn Lucan dann aber in seine Dichtung ein?


Ausgeliehen: Matthias Brandt, Raumpatrouille; ein Buch mit gesammelten Texten von Sloterdijk zum Ernst der Lage; ein Buch mit gesammelten Interviews von Chomsky, gleichfalls zum Ernst der Lage; und Auf einmal diese Stille. Die Oral History des 11. September So etwas zu lesen, zeugt eigentlich von einem morbiden Interesse. Aber Katastrophen ziehen mich nunmal an wie Scheiße die Fliegen, es ist nicht zu ändern.






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