Weiter im Lucan

Eine sprachliche Auffälligkeit hat VI 77: descendit ... si nusquam torqueat amnem "Wie [der Tiber] von Rom zum Meer hinabsteigt/-stiege, würde er nirgends seinen Lauf krümmen." Diese Syntax, die in der Apodosis gegen die lateinische Schulgrammatik ein Vergangenheitstempus im Indikativ hat und den Konjunktiv nur in der Protasis, kommt gar nicht so selten vor. Mir fallen auf Anhieb zwei Stellen im Livius ein und eine oder mehrere im Ovid. Muß die mal bei Gelegenheit heraussuchen. (Ob das griechischer Einfluß ist? Aber da gibt es im irrealen Bedingungsgefüge eigentlich gar keinen Konjunktiv, nur Imperfekt Indikativ und Aorist Indikativ mit ἄν.)

Caesar und Pompeius lagern also in Rufweite voneinander. Caesar versucht, seinen Gegner zu provozieren, aber der hält still. Schließlich reißt Caesar der Geduldsfaden, er beschließt, Dyrrhachium (heute die Küstenstadt Durrës) einzunehmen. Pompeius kommt ihm aber zuvor, errichtet auf einer Anhöhe sein Feldlager und organisiert die Verteidigung der Stadt. Da Dyrrhachium auf einem Felssporn liegt, den nur eine schmale Landbrücke mit dem Festland verbindet, ist die Stadt schwer einzunehmen. Aber Caesar wäre nicht Caesar (und hätte niemals Gallien erobert), wenn ihm dazu nichts einfiele: er läßt einen Wall um die ganze Gegend legen und kesselt Pompeius ein. Caesar ist nicht bekannt dafür, zu kleckern: laut eigenen Angaben war der Wall, dem Gelände folgend und mit Wachttürmen ausgestattet, fünfundzwanzig Kilometer lang. Wir brauchen die lucanische Übertreibung nicht, die Länge des Walls sei nicht an einem Tag abzureiten gewesen, um das beeindruckend zu finden.

Die Erzählerfigur ist allerdings mehr von der immensen Verschwendung an Material und Arbeitskraft beeindruckt: Was hätte mit dem gleichen Aufwand nicht Nützliches geschaffen werden können! Caesar hätte den Bosporus zuschütten oder die korinthische Landbrücke zur Peloponnes durchschneiden können, wenn es nicht vorgezogen hätte, sein Organisations- und Führungstalent für Kriegsspielchen zu vergeuden. Die beiden Vergleiche sind interessant: der eine evoziert sogleich die tragische Geschichte von Hero und Leander, die eine verbotene Liebe verbindet. Hero lebt am westlichen Ufer in Sestos, Leander auf der anderen Seite in Abydos. Da sie sich nur heimlich treffen können, schwimmt Leander Nacht für Nacht über die Meerenge, wobei ihm ein von Hero unterhaltenes Licht im Turm den Weg weist. Eines Nachts aber löscht der Sturm das Licht, Leander verirrt sich und ertrinkt. Als Hero anderntags seine Leiche am Ufer findet, stürzt sie sich vom Turm in den Tod. Da bei Lucan beide Orte genannt werden, ist das geradeso, als hätte er Hero und Leander namentlich erwähnt. Und dann war ja noch Helle mit dem Bruder Phrixos auf der Flucht vor ihrer Stiefmutter Ino in die Meerenge gestürzt. So gesehen ist es also ein Desideratum, wenn die blöde Wasserstraße endlich durch einen sicheren Damm überbrückt wäre.

Schön ist auch der zweite Vergleich: der Durchstich durch die Landbrücke von Korinth. Kein Geringerer als Kaiser Nero, amtierender Princeps zur Zeit Lucans und für dessen frühen Tod verantwortlich, soll ja 67 einen solchen Kanal angeordnet (Flavus Iosephus, Geschichte des jüdischen Krieges 3,10,10) und auch den ersten Spatenstich getan haben (Sueton, Nero 19). Wenn Lucan jetzt behauptet, Caesar hätte das gekonnt, wenn er nur gewollt hätte, dann kann man darin durchaus eine politische Spitze gegen Nero lesen, zumal auch Nero wie alle Principes seine Alleinstellung an der Spitze in langer Linie Caesars, na ja, Putsch verdankt. Zu sagen, hätte Caesar mal lieber den Kanal gebaut, bedeutet in diesem Licht betrachtet ja auch, dann hätten wir jetzt einen hübschen Kanal anstelle eines häßlichen Prinzipats.

Tatsächlich hat Caesar einen Kanal durch den Isthmus von Korinth (viele th auf einmal) gebaut. Na ja, geplant zu bauen. Bauen wollen. (Sueton, Caesar 44; Plutarch, Caesar 58,4) Über das Planungsstadium scheint das nicht hinausgekommen zu sein.

Um noch ein bißchen weiter zu spekulieren: Der Vergleich mit dem Verweis auf die Mythologie bedeutet ja auch, daß, hätte es damals schon einen Caesar gegeben, Helle mit Phrixus trockenen Fußes fliehen und Leander seine Schuhe anbehalten hätte können, wenn er Hero besuchen wollte. Der Mythos kennt -- für Menschen zumindest -- die Grenzen der Natur, und selbst die Götter haben keineswegs Allmacht, sondern müssen mit dem Material arbeiten, das halt vorhanden ist, Regen, Wind, Erde, Blitze. Mit Ingenieursleistungen, wie sie Lucan einem Caesar zuzutrauen geneigt ist, wird die Natur bezwungen, wird auch die Welt des Mythos überwunden, schwingt sich der Mensch selbst zu den Göttern empor. Was ist schon ein fliegender Widder gegen die Trockenlegung der Dardanellen? Solche Leistungen bedeuten aber auch eine entzauberte, eine mechanisch beherrschbare Welt. Einer solchen Welt werden keine Geschichten mehr wie die von Helle oder Hero und Leander entstammen. Am Ende ist aber auch Lucans eigenes Werk von ganz anderer Art als es noch die Aeneis war, findet sich doch darin vom Walten der Götter keine Spur mehr, ist die Natur Natur, müssen die Helden mit menschlichem Einfallsreichtum, mit menschlicher Technologie auskommen. Im Zusammenhang mit Caesars Erdwerk ist ganz explizit von Naturbeherrschung die Rede. tot potuere manus ..., heißt es VI 55--60, "so viele Hände hätten ... jeden beliebigen Ort der Welt, auch wenn sich die Natur dagegengestellt hätte, in einen besseren verwandeln können." Daß die Menschen mit irdischer Technologie so viel Erstaunliches erreichen, ist umso tragischer, als sie es mit den falschen Zielen tun. Der menschliche Genius überwand zwar den Mythos, aber er überwand nicht den Menschen.

Ein bißchen Opernkritik

"Einer der Höhepunkte der vierstündigen Materialschlacht von zweifelhaften Gags, ist der Auftritt von Don Ottavio (Michael Spyres), wenn er Dalla sua pace singt. In seltsamer Verkleidung, als norwegischer Polarforscher, mit einem Pudel an der Leine. Muss ich noch den überdimensionalen Photokopierer erwähnen, den Leporello braucht, um die Registerarie zu singen? Oder die kleine Ratte, die irgendwann auf die Bühne scheißt? Sie brauchen jetzt die Wiener Tierschutzbund nicht anzurufen, es ist eine handzahme Ratte, und sie hat eine Tierpflegerin hinter der Bühne. Die Ziege auch."

Den ganzen köstlichen Verriß gibt es hier.





Pfeifen im Walde: "Als der tarpeische Sitz von gallischen Fackeln niedergebrannt war und Camillus sich in Veii aufhielt, da war eben dort Rom. Niemals hat, wenn er den Ort wechseln mußte, unser Stand seine Rechte verloren." -- Doch Rom, sieht man förmlich Caesar mit süffisantem Lächeln antworten, ist nicht dort, wo das Recht behauptet, sondern dort, wo es mit Truppen durchgesetzt wird. Lentulus läßt mit dem Galliervergleich die Anhänger Caesars zu äußeren Feinden Roms werden, dabei ist Caesar, sind seine Soldaten, geradeso Römer wie Pompeius und seine Anhänger. Formal mag Caesar ein Usurpator sein, aber alle Rechte nützen dem militärisch Unterlegenen nichts. Caesar besitzt Häuser in Trauer, leere Hallen, zum Verstummen gebrachte Gesetze, vom Ausnahmenzustand leergefegte Plätze, die Senatoren geflohen: Doch hält Caesar Rom, nicht Pompeius, und keine Beschwörung des traurigen Besitzes, in den Caesar gewaltsam gekommen ist, kann über diese Tatsache hinwegtäuschen.

V 58-64:

et tibi, non fidae gentis dignissime regno,
fortunae, Ptolemaee, pudor crimenque deorum,
cingere Pellaeo pressos diademate crinis
permissum. saeuum in populos puer accipis ensem,
atque utinam in populos! donata est regia Lagi,
accessit Magni iugulus, regnumque sorori
ereptum est soceroque nefas.

"Und dir, der Herrschaft würdig über ein treuloses Volk, dir Beschämung des Schicksals und Vorwurf der Götter, dir erlaubt man, dein vom ägyptischen Diamanten plattgedrücktes Haar (damit) zu kränzen. Ein Knabe noch, bekommst du ein Schwert, um damit gegen Völker zu wüten -- ach wären es doch nur deine eigenen Völker. Man schenkt ihm die Königsburg Ptolemäus' I, der (spätere) Mörder Pompeius' besteigt den Thron, das Reich wird der Schwester fortgenommen und dem Schwiegervater die Mordschuld am Schwiegersohn erspart. -- Ok, sortieren wir das mal. Der Knabe ist Ptolemäus XIII, seine Schwester Kleopatra (ganz richtig, die Kleopatra), in Ko-Regentschaft mit ihm auf dem ägyptischen Thron, wird 49 v. Chr, vertrieben, Ptolemäus XIII von Pompeius und der Senatspartei unter dem Druck der Verhältnisse als Alleinherrscher bestätigt. Die Stelle bei Lucan legt nahe, daß Ptolemäus von der Senatspartei im Machtkampf mit seiner Schwester Unterstützung bekam und im Gegenzug Hilfe für Pompeius in dessen Machtkampf gegen Caesar versprach. Die Sache ging für Pompeius nicht gut aus, denn als er nach der Niederlage bei Pharsalos zu Ptolemäus floh, wurde er von diesem kurzerhand ermordet, um nicht in den Bürgerkrieg mit hineingezogen zu werden. (Magni iugulus, "die Ermordung des (Pompeius) Magnus", wieder so eine Metonymie, auflösbar nur unter Zuhilfenahme von Geschichtsbüchern). soceroque nefas erg. ereptum est: Da schon Pompeius schon von Ptolemäus umgebracht worden ist, muß sich Caesar dabei nicht mehr die Hände schmutzig machen.


Wenn ich spät dran bin, lerne ich stets neue Arten kennen, mit denen Menschen andere an der Fortbewegung hindern können.Und, ja: Man möchte mit Steinen schmeißen, manchmal, ich auch.





Parallel zum Lucan Caesars Bürgerkrieg aufgeschlagen. Namen recherchiert: Lentulus und Marcellus sind die beiden im Jahr des Kriegsbeginns amtierenden Konsuln. Bei dem erwähnten Scipio handelt es sich um Quintus Caecilius Metellus Pius Scipio. Er stand der Führungsriege um den jüngeren Cato nahe, agitierte gegen Caesar, war Prokonsul in Syrien und kämpfte als Imperator gegen die Parther. Er unterstützte Pompeius mit zwei Legionen. Nach der Schlacht von Pharsalos floh er nach Africa, wo er das Kommando über die Truppen des ermordeten Pompeius übernahm. Bei Thapsus von Caesar entscheidend geschlagen, beging er bei Hippo Regius Selbstmord. Es ist übrigens derjenige Scipio, gegen den Asterix und Obelix als Legionäre in Caesars Diensten in Asterix als Legionär zu Felde ziehen. Lucius Cornelius Lentulus Crus, den Caesar vergeblich versucht hatte, auf seine Seite zu ziehen, schloß sich Pompeius an und ging 49 nach Griechenland, dann in die Provinz Asia, wo er zwei Legionen aushob. Nach der Schlacht bei Pharsalos, an der er als Prokonsul teilnahm, floh er nach Ägypten, wo er gefangengenommen und getötet wurde. Gaius Claudius Marcellus, Caesargegner auch er, verließ 49 Rom, hob Truppen aus und ging gleichfalls nach Griechenland. Kommandierte Flotteneinheiten des Pompeius, wird nach 48 nicht mehr erwähnt. Beide Konsuln finden übrigens Erwähnung in Flavius Josephus' Antiquitates Iudaicae als Urheber eines Erlasses, der Kriegsdienstbefreiung für Juden römischen Bürgerrechts in der Provinz Asia einräumte.

Lucan IV 663:

felici non fausta loco tentoria ponens

Das ist mit dieser oxymoroiden Folge felici non fausta "glücklich nicht gelingend" sehr hübsch.


Speiseinsekten verbrauchen im Vergleich zu gewöhnlichem Schlachtvieh viel weniger Wasser, Futter und Fläche, setzen weniger CO2 frei und sind anspruchslos in der Aufzucht. Sie enthalten viel Protein und wenig Fett, sind reich an Vitaminen und Spurenelementen. Ob sie auch schmecken? Der Autor dieser Zeilen ist entschlossen, das herauszufinden. Leider sind sie momentan noch recht teuer (hunderte Euro pro Kilo gefriergetrocknete Heuschrecken etwa); hier gibt es aber eine interessante Methode, Soldatenfliegenlarven für den Eigenverzehr selbst zu züchten. (Am Ende gibt es ein Probeessen: eine Quiche larvaire.)






Im Kluge Bruder nachschauen wollen und bin erst einmal an der Codierung gescheitert. Eine zweite Suche im Katalog der USB Köln führte auf einen Volltext, was weniger schick, aber immerhin brauchbar ist. Dort die idg. Wurzel *bhrá:tor- gefunden.


Verners Gesetz: die infolge der ersten (germanischen) Lautverschiebung aus idg. *p, *t, *k, *kʷ entstandenen *f, *þ, *χ, *χʷ wurden stimmhaft, sofern der grundsprachliche Akzent folgte. Ging der Akzent voraus, blieben sie stimmlos. Stimmlose Frikative werden in der zweiten (hochdeutschen) Lautverschiebung zu stimmhaften Plosiven, also b, d, g; während stimmhafte Frikative zu stimmlosen Plosiven werden. Dt. Vater geht auf idg *ph₂té:r, Bruder, wie ich nun weiß, auf *bʰrá:tor- zurück. Gemäß den Akzentverhältnissen wurde der Frikativ im Falle des Vaterworts stimmhaft, und dann zu einem stimmlosen Plosiv t. Im Falle von Bruder war's umgekehrt: Der Akzent ging voran, der Frikativ blieb stimmlos und wurde zu einem stimmaften Plosiv d. Voilà.


Es gibt nicht eine Skylla, sondern deren zwei, die allerdings immer wieder miteinander in Verbindung gebracht werden. Die eine Skylla ist die Tochter der Nymphe Krataiis und wird vom Meeresgott Glaukos vergeblich umworben. Dieser wendet sich in seinem Liebeskummer an Circe, sie möge ihn von seiner Liebe heilen. Circe ist allerdings selbst in Glaukos verliebt und vergiftet aus Eifersucht der Skylla das Badewasser. Nach dem Bad wachsen der Kontrahentin aus dem Unterleib sechs Hundeköpfe und zwölf Hundefüße. Fortan lebt sie der Charybdis gegenüber auf einem Felsen in der Meerenge zwischen Italien und Sizilien und ernährt sich von unvorsichtigen Seefahrern (--> Odysseus). Die zweite Skylla ist die Tochter des Königs Nisos von Megara. Als diese Stadt von König Minos von Kreta belagert wird, verliebt sich Skylla in den feindlichen Anführer, verrät ihre Stadt und wird zum Dank dafür von Minos an ein Schiff gebunden und übers Meer geschleift. Anderen Quellen zufolge stürzt sich sich von einem Felsen. Jedenfalls wird sie in einen Vogel (oder Fisch) namens Kirris verwandelt. Ovid, Fasti IV 500, vermengt beide Skyllae, indem er von dem Meerungeheuer als den Nisei canes, also den Niseischen Hunden, spricht, als wäre Skylla-Tochter-des-Nisos in das nämliche Meerungeheuer verwandelt worden, zu dem Skylla-Opfer-der-Circe wurde. Solche Verweise auf Nisos im Kontext des Meerungeheuers findet man auch bei Homer.





Gelesen: "Terrawattstunden Strom" Hier.


Entdeckt: Freistetters Formelwelt.


Und weiter im Lucan: (salix) caesoque inducta iuuenco "mit Rindshaut überzogen", das ist wieder so eine typisch Lucanische Synekdoche, deren Sinn nicht so einfach (und für mich oft gar nicht) zu entschlüsseln ist.

IV 103-202. Verbrüderung der gegnerischen Lager am Sicoris in Nordspanien. Man kennt sich, man grüßt einander über den niedrigen Wall hinweg, erst zaghaft, mit Winken und Zeichen, dann ruft Soldat den feindlichen Soldat beim Namen, endlich strömt man aus den Palisaden und umarmt einander. Opfert gemeinsam, erzählt sich Anekdoten und Geschichten aus Zeiten, da man noch gemeinsam unter einem Heerführer Dienst tat. Die Versöhnung, die Abwendung des Bürgerkriegs scheint greifbar -- aber man weiß ja bereits, wie es ausgeht. Das macht die ganze Szene tragisch, das Menschliche darin hilflos.

Vergleich zwischen der Sintflut bei Ovid und der Überschwemmung von Caesara Heerlager in Lucans Spanien. Letzterer gibt sich viele Mühe bei der Beschreibung des Wetters, der Wind-, Wärme- und Feuchtigkeitsverhältnisse, der Geographie, des Luftdrucks undsoweiter, was gewissermaßen an Ovids Herleitung (nasser Bart des Windgottes, Neptun, der die Winde einsperrt) erinnert, mit einem entscheidenden Unterschied: Lucan kommt ohne göttliche Intervention aus. (Ob aber der zeitgenössische Leser nicht Ovids Götter sozusagen mitgelesen hat -- und damit die Szene als Strafe für Caesars Frevel deuten konnte?) -- Das dachte ich mir gestern. Heute weitergelesen: Zwar kommen immer noch keine Götter als Handlungsfiguren vor; aber die Erzählerfigur wendet sich in einer kurzen Apostrophe an Neptun, indem er den Wasser- und Meergott anruft, das Unwetter doch nur weiter toben zu lassen, um "die erbarmungswürdigen Länder dem Bürgerkrieg zu entziehen", et miseras bellis ciuilibus eripe terras.


Praktisch, nicht nur für Lucan: Liste antiker Ortsnamen und geographischer Bezeichnungen






Lustiges Filmchen gesehen. Terraforming Venus für Anfänger. Nachdenklich macht die Schwärmerei über den neuen Planeten. Riesige Wälder, Tiere, von Leben wimmelnde Meere, unzählige neue Ökosysteme, heißt es da. Kein Wort davon, daß wir das alles bereits haben und gerade im Eiltempo kaputtmachen.


Wetterbericht bei Lucan: Pharsalia IV 49-82. Vergessen Sie Musil.


Endlich wieder in der Bibliothek, seit heute ist sie wieder geöffnet. Ausgeliehen: Allende Was wir Frauen wirklich wollen (Ich bin so gespannt.); Plastikfrei leben (für Dummies); Florian Freistetter, Hawking in der Nußschale.


Ein photosynthesetreibendes Tier.


Der Name des Flusses Ebro ist vielleicht baskischen Ursprungs.


Seltsam, seltsam. (NSFW)






Die Wikipedia (jahrelang glaubte ich, der Name habe irgendwas mit Wikingern zu tun, vielleicht als Ausdruck von Freiheit und Subversivität) wird 20 Jahre alt. Was war den Nachrichten im WDR wert, darüber zu sagen? Das Datum des Onlinestellens; der Name des Gründers, der Ort der Gründung; und: was Kritiker ihr vorwerfen. -- Nicht daß man sich nicht bemühen würde; aber gibt es das überhaupt, etwas von Menschen Ausgedachtes und Gemachtes, an das keine Kritik mehr heranreicht? Und könnte man nicht zumindest den Vorschlag machen, angesichts eines Jubiläums und eines beispiellosen Erfolgs ein einziges Mal zu würdigen ohne zu kritisieren? Man hat das Macht's doch besser schon auf der Zunge. Es ist eine Entgegnung, von der es zu unrecht heißt, sie sei billig oder kindisch. Wer kritisiert, muß sich die Frage nach dem Gegenentwurf gefallen lassen. Das gilt insbesondere und überhaupt für ein Projekt wie die Wikipedia, das ausschließlich davon lebt, daß Kritik nicht nur geäußert, sondern gelebt wird, und zwar von jedem, der sich berufen fühlt. Dir gefällt ein Artikel nicht? Anmelden, besser schreiben. Du hast einen Fehler entdeckt? Anmelden, korrigieren. Dir fehlt ein Artikel zu einem wichtigen Stichwort? Anmelden, Artikel eintragen. Du findest Wikipedia nicht "transparent genug"? Dann melde dich an und mach sie transparenter, Herrgott! Du bist eine Frau und findest die Männer-Frauen-Ratio unter den Mitwirkenden der Wikipedia erbärmlich? Kommste selbst drauf, gell? Wer bei einem Mitmachprojekt nicht bereit ist, mitzumachen, kann sich jede Kritik daran sparen.





Das Jahr ist angesprungen, der Motor dröhnt, die Kolben stampfen. Los geht's, mit Volldampf in die Zukunft, die man lieber erst gar nicht kennenlernen mag. Gestern im Büro den Kalender weggeworfen. Das Blatt zeigte den 12.3.2020, ein Donnerstag. Letzter regulärer Arbeitstag. Damals war die Vokabel in Präsenz noch unbekannt, und daß ich weder am folgenden Montag, noch Dienstag, noch Mittwoch, daß ich die ganze Woche nicht und auch den ganzen Monat nicht mehr ins Büro gehen würde; daß ich erst am Ostersonntag eine kurze Stippvisite machen würde, bei der ich den Kalender (aus Trotz? Aus Sturheit? Jedenfalls aus dem zähneknirschenden Vorsatz heraus, es erst zu tun, wenn ich wieder einen normalen Bürotag hätte, der Frage ausweichend, wen ich denn bitte mit dieser Aktion zu strafen gedächte) auch nicht aufs aktuelle Datum brachte -- das war an diesem Donnerstag (jedenfalls für mich Vogel Strauß aus der subterranen Perspektive) nicht abzusehen, nicht einmal denkbar. Daß ich gar nicht mehr dazu kommen würde, weil die Zeit diesen Kalender verschlingen würde, und immer noch nichts ausgestanden wäre, das wäre allenfalls Stoff für Albträume gewesen. Und da sind wir nun. War es eine Vorahnung, die mich bei der Kalenderbestellung für 2021 den kleinen Wandkalender vergessen ließ? Was da jetzt über meinem Schreibtisch hängt, ist eine Jahresübersicht 2021, lauter unangebrochene Tage; aber kein Marker fürs aktuelle Datum, dessen Aktualisierung ich, als wollte ich die losstampfende Zeit auf Pause stellen, noch halsstarrig verweigern könnte.





Vielleicht fällt es uns auch deshalb so schwer, mit dem Virus umzugehen, weil es unsere liebsten Erzählungen durchstreicht. Der Feuerwehrmann, der in ein brennendes Haus steigt, um Eingeschlossene zu retten; Sicherheitskräfte, die eine zu schützenden Person mit dem eigenen Körper decken; der mutige Ersthelfer, der ohne zu zögern ins eisige Wasser springt, um ein ertrinkendes Kind herauszuziehen; oder auch die Wildsau, die ihre Jungen tapfer vor dem Löwen, die Löwin, die die ihren vor den Jägern verteidigt -- das Motiv ist so alt wie die westliche Literatur, und nie sind diese Helden, in menschlicher oder tierischer Gestalt, bescheuerte Spinner, in diesen Erzählungen ist der Einsatz des eigenen Lebens zur Rettung anderer immer positiv bewertet -- selbst da noch, wo der Retter scheitert. Ein solches Heldentum ist individuell, es hat einen Namen und ein Gesicht in den Zeitungen.

Was war Heldenmut in Zeiten der Pestilenz? Er bestand in der aufopferungsvollen Pflege der Kranken und war, aus heutiger epidemiologischer Sicht und in Anbetracht der damaligen Unkenntnis des Ansteckungsweges, grundverkehrt. Die Pfleger pflegten und steckten sich pflegend selbst an -- um der Seuche daraufhin bei der Ausbreitung behilflich zu sein. Der pseudoheilige Rochus -- die Geschichte schweigt davon, wie viele weitere Menschen er mit seiner Pestbeule angesteckt haben mag.

Das Virus zwingt zur Feigheit. Wer feige ist, ist gut; wer sich selbst schützt, schützt andere. Feigheit ist die neue Leittugend, das neue Heldentum. Aber was für alberne Helden bringt es hervor? Todesverachtung heißt unter den Regeln, die das Virus aufstellt, Menschenverachtung, und wer mutig ist, rettet nicht, sondern gefährdet andere. Wir würden uns gerne mutig als Teil der Lösung verstehen, dabei müssen wir lernen, uns als Teil des Problems zu sehen. Das läuft konträr zu all unseren Lieblingserzählungen, ist langweilig und empörend, verspottet die Intuition und kehrt alle Werte, die wir rund um Gefahr und Gefährlichkeit errichtet haben, um. Wir sind keine Helden, wir sind selbst die Gefahr. Wir selbst sind das Böse, seine Träger, seine Knechte.

Unser gewöhnliches Vokabular in Antwort auf Gefahr ist: trotzen, bekämpfen, Widerstand leisten. Gerade hinstehen. Schultern breit. Dem Gegner ins Gesicht lachen. Zwar wird jedem Ersthelfer im Kurs der Leitsatz eingebleut, ein toter Helfer ist ein schlechter Helfer; aber die guten Geschichten gehen anders, da finden wir Absperren und Warndreiecke eher langweilig. In den Geschichten rennen wir einfach, unserem besten inneren Befehl folgend, ins brennende Haus, verachten wir den Tod und bleiben trotzdem am Leben. Das Virus aber verbietet uns nicht nur unsere besten Instinkte (bei Bedrohung zusammenzurücken und Trost in der Nähe zu suchen); es hat auch leider keine guten Geschichten für uns, keine Erzählungen, deren Helden wir gern selber wären.





Dieser Tage gehört:

„Wir werden das Virus nicht besiegen, wir werden mit dem Virus leben müssen.“

„Daß tausende Menschen ihre Existenzgrundlage verlieren, das ist ja wohl schlimmer, als wenn ein paar Rentner, die sowieso bald gestorben wären, jetzt eben ein paar Monate eher abtreten.“

„CoViD-19 ist gut für die Rentenkasse.“

„Ich laß mir doch vom Staat nicht vorschreiben, mit wie vielen Leuten ich mich treffe!“