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Gliederung Buch VII ab 647

  • 647--711 Flucht des Pompeius
  • 712--727 Pompeius gelangt nach Larissa, wird dort freundlich aufgenommen, weist aber das militärische Hilfsangebot der Stadt zurück.
  • 728--763 Der Schauplatz kehrt zurück zum Schlachtfeld. Ende des Gemetzels. Siegesrausch ...
  • 764--776 ... und -Kater der Soldaten
  • 777--824 Caesars Dämonen; er verweigert den Gefallenen die Bestattung
  • 825--846 Aasfresser
  • 847--872 Das heimgesuchte Land

Moonfall

Wie es wirklich wäre.







Bekanntlich ist die Achse, um die unser Planet seine Eigendrehung vollzieht, um ca. 23° geneigt und zeigt, zumindest auf kurze Zeiträume betrachtet, immer auf den gleichen Punkt am Himmel, was die unterschiedliche Tageslänge im Sommer und im Winter sowie die Jahreszeiten hervorruft. Im Winter scheint die Nordhalbkugel maximal "von der Sonne weggekippt", im Sommer umgekehrt. Der Punkt größter Gekipptheit auf die Sonne hin oder von der Sonne weg ist an den sogenannten Solstitien erreicht. In dieser Anordnung würde eine Ebene, die von der Erdachse aufgespannt wird und die Ekliptik im rechten Winkel schneidet, genau durch den Mittelpunkt der Sonne gehen, während dieselbe Ebene zu den Tag- und Nachtgleichen im März bzw. im September quasi tangential zur Erdbahn um die Sonne liegen würde.

Warum aber nimmt bei der Wintersonnenwende die Tageslänge nicht gleichmäßig morgens und abends zu, sondern abends schneller, so daß der früheste Sonnenuntergang in unseren Breiten schon Mitte Dezember, der späteste Sonnenaufgang jedoch erst einige Tage nach der Wintersonnenwende stattfindet?

Die Antwort hat erstens mit dem Unterschied zwischen siderischem Tag und Sonnentag zu tun und zweitens mit der unterschiedlichen Bahngeschwindigkeit der Erde zu unterschiedichen Jahreszeiten. Angenommen, die Erde würde sich relativ zum Sternenhintergrund überhaupt nicht drehen; dann dauerte ein Tag exakt ein Jahr, denn auf ihrem Umlauf um die Sonne würde allmählich über die Dauer des Umlaufs die Erdoberfläche einmal überall beschienen. Dieser "Tag" ist sozusagen ein Extratag, den die Erde bei ihrem Umlauf dazugeschenkt bekommt. Das bedeutet aber für eine rotierende Erde, daß die Sonne jeden Tag ein 1/365 Tag vorauszueilen scheint. Um also denselben Sonnenstand wieder zu erreichen, muß die Erde sich ein kleines Stückchen weiterdrehen, als bis zum selben Sternenstand. Dieses Stückchen macht fast ein Grad aus (und dauert ein paar Minuten zu überwinden). Die Differenz ist aber nicht zu allen Jahreszeiten gleich, denn aufgrund der leicht exzentrischen Bahn der Erde um die Sonne befindet sich der Planet mal nächer an seinem Zentralgestirn, mal weiter weg. Derzeit (die Punkte größter bzw. kleinster Entfernung wandern über längere Zeiträume betrachtet) ist das Perihel (der Punkt größter Nähe zur Sonne) im Winter. Das zweite Keplersche Gesetz besagt, daß der sogenannte Fahrstrahl, das Ellipsensegment, das aus dem in einer gegebenen Zeit durchwanderten Bogen und den beiden Achsen zur Sonne gebildet wird, zu gleichen Zeiträumen gleichen Flächeninhalt hat. Daraus wiederum folgt, daß sich die Erde zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich schnell bewegt. Die größte Geschwindigkeit hat sie am Perihel, die geringste am Aphel. Das bedeutet aber auch, daß die aufzuholende Differenz zwischen siderischem und Sonnentag im Winter besonders groß ist. Nimmt nun die Tageslänge aufgrund der Achsenneigung nach dem 21. Dezember wieder zu, profitiert davon der Sonnenuntergang besonders, denn um den "Verlust", der durch die -- schnellere -- Umlaufbewegung zustande kommt, wieder aufzuholen, muß sich die Erde besonders lange weiterdrehen -- was nichts anderes bedeutet, als daß der Sonnenuntergang noch etwas auf sich warten läßt. Morgens ist es dann umgekehrt, und der Gewinn durch die veränderte Achsenstellung wird durch denselben Effekt "wiederaufgefressen": Es bleibt also noch ein Weilchen länger dunkel, ehe die Erde die Extrastrecke von einem Grad aufgeholt hat, der Fortschritt macht sich noch länger nicht bemerkbar als am Abend.





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Gliederung bis V 491

  • 214--234 Pompeius' Schlachtaufstellung
  • 235--336 Rede Caesars vor der Schlacht
  • 337--384 Rede Pompeius' vor der Schlacht
  • 385--460 Bedeutung der Niederlage bei Pharsalos für Rom und die Welt
  • 461--491 Beginn der Schlacht

Ja, es ist soweit. Nachdem die aufeinander zumarschierenden Heere den letzten Raum, der das Gefecht noch aufhält, überwunden haben (suprema morantem / consumpsere locum), man könnte hinzufügen: und Lucan die letzten noch verzögernden Verse hinter sich hat, beginnt die Entscheidungsschlacht, deren Ort, Pharsalos, dem ganzen Epos -- Pharsalia -- den Namen gibt. Olymp, Haemus, Pelion, Pindus, die Schluchten des Oetagebirges ächzen und "fürchten sich vor ihrer eigenen Stimme, mit der sie den Krach zurückwerfen": Indem ganz Thessalien vom Schlachtenlärm widerhallt, nimmt sogar die unbelebte Natur Anteil an dem Konflikt. Die Sphäre, die noch von den Wirkungen der Ereignisse erfaßt wird, wächst. Die Berge und Schluchten, die Landschaft, das Unbelebte wird belebt; das Belebte, die Schlacht selbst, wird zum Naturereignis:

... tum stridulus aer
elisus lituis conceptaque classica cornu,
tunc ausae dare signa tubae, tunc aethera tendit
extremique fragor conuexa inrumpit Olympi,
unde procul nubes, quo nulla tonitrua durant.
excepit resonis clamorem uallibus Haemus
Peliacisque dedit rursus geminare cauernis,
Pindus agit fremitus Pangaeaque saxa resultant
Oetaeaeque gemunt rupes, uocesque furoris
expauere sui tota tellure relatas.

"... dann stoßen die Trompeten kreischend Luft aus, die Hörner nehmen das Signal auf, dann trauen sich die Posaunen, das Zeichen zu geben, der Krach spannt die Lüfte und brandet an die Hänge des fernen Olymps, wo die Wolken fern sind, die kein Donner erreicht. Das Haemusgebirge nimmt das Geschrei in seinen widerhallenden Tälern auf und gibt es an die Schluchten des Pelion weiter, der es verdoppelt, der Pindus braust vom Getöse, von den Felsen des Pangäon hallt es wider, die Wände des Oetes ächzen und fürchten sich vor den Stimmen ihres eigenen Lärms, die über das ganze Gebiet getragen werden."

Was vielleicht noch in letzter Minute die Feldherren verhindern könnten, wird durch den Speerwurf eines einzelnen Soldaten -- und des einzigen, der abgesehen von den Anführern namentlich genannt wird -- ausgelöst. Crastinus wirft einen Speer, und dann geht es los. Es ist ein großes Heranzoomen, vom Marsch Caesars auf Rom, der Räumung der Stadt durch Pompeius, Gefechte im Westen, Caesars Zug nach Thessalien, dann endlich Feindkontakt (Aristie des Scaeva), dann doch wieder nicht. Endlich wird Pompeius beschwatzt, loszulegen, das Heer rüstet sich. Erst müssen aber noch Reden gehalten, die Soldaten auf die bevorstehende Prüfung eingeschworen werden. Pompeius' Schlachtaufstellung muß beschrieben werden. Lauter langatmige Dinge, bis es nur noch ein paar Schritte Bodens sind, der die Heere trennt, und am Ende dieser großen, anderthalb Jahre bzw sieben Bücher Versepos dauernden Entwicklung ist es schließlich das ganz Kleine, das Detail, eine einzelne Lanze, ein einzelner Soldat, der die Schlacht eröffnet (ein kleiner Wurf für Crastinus, ein großer Schaden für die Menschheit). Das Große und Zusammengefaßte zerfällt unter der Lupe des Erzählens in einen Speerwurf, gesichtslose Schlachtreihen bekommen einen Namen, und nur einen, der Rest kämpft und quält sich und stirbt anonym in der zusammenfassenden Syntax indirekter Fragesätze. (617--630)

Das große Ganze

Wir sind, in kosmischen Maßstäben gerechnet, als Menschheit gerade rechtzeitig zur Welt gekommen, um noch einige interessante Dinge in Erfahrung bringen zu können. Irgendwann nämlich werden außer unserer unmittelbaren Nachbarschaft, dem, was dann eine Supergalaxie als Verschmelzungsprodukt von Milchstraße und Andromedagalaxie (der sogenannte Milchdromedagalaxie) sein wird, alle anderen Galaxien sich so schnell von uns entfernen, daß ihr Licht uns nicht mehr erreichen kann: Sie werden für immer aus dem beobachtbaren Universum verschwunden sein. Zivilisationen, die dann geboren werden, werden keinerlei Möglichkeit mehr haben, auf so etwas wie den Urknall zu kommen; sie werden ihre Heimatgalaxie für alles halten müssen, was es gibt; sie werden annehmen müssen, daß das Universum statisch ist und ewig. Noch einen Schritt weitergedacht stellt sich die Frage, was uns auf unserer Position auf dem Zeitstrahl der Entwicklung des Universums schon entgangen ist. Es könnten ja Indizien auf eine ganz andere als die bislang vermutete Natur des Kosmos und seiner Entstehung bereits hinter den Horizont des Sichtbaren geglitten sein, die wir noch hätten beobachten können, wenn wir ein paar Milliarden Jahre früher dran gewesen wären. Wir werden es niemals erfahren.





Weiter im Lucan: Verse 1--200

Die ersten zweihundert Verse von Buch sieben gliedern sich wie folgt:

  • 1--44: Pompeius' Traum
  • 45--87: Unruhe im Lager; Rede des Cicero
  • 87--123: Rede des Pompeius.
  • 124--150: Kampfvorbereitungen
  • 151--200: Vorzeichen

Vocabularium

Wieder was gelernt: sulpur (oder sulfur oder sulphur, "Schwefel") kann auch "Blitz" heißen (v. Lewis & Short s.v. sulfur):

aetherioque nocens fumauit sulpure ferrum;

"Und vom Schwefel des Himmels raucht die schädliche Klinge;"

Mehr Konjunktiv

Auf diesen Seiten ist ja schon mehrfach vom Modus und vom Indikativ bei Modalverben die Rede gewesen. VII 202--204 zeigt eine weitere Bestätigung für meine Vermutung, daß Modalverben in einem Vergangenheitstempus auch ohne Konjunktiv als Irrealis gelesen werden können (potuit "hätte können", opportebat "hätte sollen" etc.) Im folgenden Vers wechselt ein Konjunktiv im Hauptverb in der Protasis mit einem Modalverb im Indikativ in der Apodosis als irreales Bedingungsgefüge ab:

... si cuncta perito
augure mens hominum caeli noua signa notasset,
spectari toto potuit Pharsalia mundo.

"Wenn der menschliche Geist mittels eines erfahrenen Augurs alle neuartigen Himmelszeichen zur Kenntnis genommen hätte, dann hätte man auf der ganzen Welt die Schlacht von Pharsalos mitverfolgen können."

(Sozusagen live und in HD.)

Vorzeichen

Das erste Viertel des siebten Buchs wird dominiert vom Thema der Vorzeichen. Erst träumt Pompeius seinen schwer deutbaren Traum, der aber dem Leser vor dem Hintergrund der Erkundigungen des Sextus Pompeius bei Erichtho einen Vorsprung gegenüber Pompeius eigenem Informationsstand verschafft.

Die Aussage ist: alles lag offen da, man hätte es nur lesen müssen; die Menschen haben die Augen vor der im Zeichen sichtbaren Wahrheit verschlossen, wollten nicht sehen, was es zu sehen gab; oder sie haben wider besseres Wissen gehandelt.

Verschiedenes

VII 260:

... haec acies uictum factura nocentem est.

"Diese Schlachtreihe wird den Besiegten zum Verbrecher machen."

Gegenstück zu Pompeius Diktum (122f), alles Übel befalle den Besiegten, alles Verbrechen bleibe am Sieger hängen:

omne malum uicti, quod sors feret ultima rerum,
omne nefas uictoris erit.

Das kann man im Kern als den wesentlichen Unterschied zwischen Pompeius und Caesar auffassen: Pompeius, der Pessimist, der Zögerer, der Skrupulöse und Gehemmte, der mit dem schlechten Gewissen. Und auf der anderen Seite der gewissenlose Caesar, der Optimist, der Macher, der Draufgänger. "Es wird keinen Sieger geben", sagt der erste. "Das Recht ist mit dem Stärkeren", sagt sein Gegener.

Ein weiteres Beispiel für die sprachlichen Schwierigkeiten, die Lucan bietet, ist VII 274ff:

... ciuilia paucae
bella manus facient: pugnae pars magna leuabit
his orbem populis Romanumque obteret hostem.

"Wenige Hände werden den Krieg zu einem Bürgerkrieg machen: ein großer Teil des Kampfes wird den Erdkreis um diese [i. e. vorerwähnte Barbaren und Griechen] Völker erleichtern und die Feinde Roms aufreiben."

Was soll das heißen, wenige Hände machen den Krieg zu einem Bürgerkrieg? Die Übersetzungen deuten die Stelle in dem Sinn, daß es in der bevorstehenden Schlacht nicht oft dazu kommen wird, daß Römer Römer töten, weil Pompeius' Heer zum großen Teil aus nichtrömischen Söldnern besteht. Da kann man sein Latein noch so gut gelernt haben, um solche Stellen inhaltlich plausibel zu deuten, bedarf es mehr als nur Kenntnisse in lateinischer Syntax. Mindestens ungewohnt ist auch die Formulierung für "Feinde Roms", Romanus hostis, eigentlich "römischer Feind". Das lateinische kennt keinen Unterschied zwischen "Liebe der Mutter" und "Liebe zur Mutter", beides wird durch den Ausdruck amor matris abgedeckt. Statt amor matris könnte man jetzt auch amor maternus, "mütterliche Liebe", einsetzen. Auf den vorliegenden Vers übertragen, läßt sich hostis Romanus natürlich rückübersetzen in hostis Romanorum, was tatsächlich sowohl "Feind der Römer" als auch "römischer Feind (i. e. Feinde unter den Römern)" bedeuten kann. Die adjektivische Bildung jedoch in gleicher Weise wie die Fügung mit Genitiv als Obiectivus zu meinen, dehnt, finde ich, die lateinische Syntax erheblich. Lucan tut es aber, wenn er "römischer Feind" sagt und "Feind Roms" meint.





Mehr Hexen

Nun aber ein wenig Fleisch auf die Knochen der Theorie. Thessalische Hexen können:

  • Götter zwingen, die aufmerksamkeit von Göttern herbeiwünschen
  • Liebe verursachen
  • lendenlahmen Greisen zur Potenz verhelfen
  • Gesunde in den Wahnsinntreiben
  • Tageszeiten beeinflussen (Tag oder Nacht verlängern)
  • Wetter beeinflussen
  • Wellen ohne Wind, Wind ohne Wellen verursachen
  • Schiffe gegen den Wind fahren lassen
  • Wasserfälle im Sturz aufhalten
  • Flüssen aufwärts fließen lassen oder ihren Lauf beliebig ändern
  • Berge glätten
  • Schnee mitten im Frost schmelzen lassen
  • Gezeiten aufhalten
  • Erdbeben verursachen
  • Tierverhalten beeinflussen, Tiere zähmen
  • Gestirne vom Himmel holen
  • Mond verdunkeln

Das alles kann Erichtho, die intimen Umgang mit Unterweltsgeistern pflegt und auf Scheiterhaufen und Grabhügeln wohnt, natürlich auch. Dazu setzt sie folgende Praktiken ins Werk:

  • sammelt Blitze
  • verbrennt keimendes Saatgut
  • verbrennt statt gewöhnlicher Opfer Leichenfackeln und vom Scheiterhaufen entwendeten Weihrauch auf dem Altar
  • vergräbt Tiere lebendig in Grabstätten
  • entwendet die Asche junger Verstorbener, schwelende Knochen, Leichenfackeln, im Rauch wirbelnde Stücke des Totenbetts, in Auflösung befindliche Totenhemden, nach Körper riechende Flugasche vom Scheiterhaufen
  • klaubt Mumien die Augäpfel heraus und zieht ihnen die Nägel ab
  • zerbeißt den Strick Gehenkter, pflückt die Leichen vom Galgen und kratzt sie vom Kreuz
  • zerteilt das vom Regen gepeitschte Fleisch, entnimmt das von Sonne gedörrte Knochenmark
  • sammelt Kreuzigungsnägel
  • fängt Verwesungsflüssigkeit und Fäulnisgifte auf
  • schreckt auch vor Mord nicht zurück, wenn ein Zauberrezept frisches Blut verlangt
  • reißt die Leibesfrucht aus dem Bauch von Schwangeren, um sie zu opfern
  • reißt den ersten Bartflaum verstorbener Jugendlicher aus und schneidet ihr Haar ab (mit der linken Hand, versteht sich).

Nunja, im Grunde erwartbar. Alles kreist um Tod und Verwesung. (Bis auf die Blitze) Aber Lucan wäre nicht Lucan, wenn er den Grusel nicht auf die Spitze treiben würde. Hier ein schönes Exempel (soweit ich bis jetzt gelesen habe, 664--669):

saepe etiam caris cognato in funere dira
Thessalis incubuit membris atque oscula figens
truncauitque caput conpressaque dentibus ora
laxauit siccoque haerentem gutture linguam
praemordens gelidis infudit murmura labris
arcanumque nefas Stygias mandauit ad umbras.

"Oft legt sich die abscheuliche Thessalierin sogar auf die teuren Glieder eines verstorbenen Verwandten, drückt Küsse auf den Leichnam, mißhandelt dabei den Kopf und öffnet dem Toten mit ihren hineingeschlagenen Zähnen das Gesicht, und nachdem sie die in der trockenen Kehle haftende Zunge abgebissen hat, träufelt sie Zaubergemurmel zwischen die eiskalten Lippen und gibt den Schatten der Unterwelt geheimes Verbrechen in Auftrag."





Mehr Lucan

Eine seltsame Stelle ist VI 455f, hier im Kontext (454--458):

... nec noxia tantum
pocula proficiunt aut cum turgentia suco
frontis amaturae subducunt pignora fetae:
mens hausti nulla sanie polluta ueneni
excantata perit. ...

"Erfolg haben nicht nur die giftigen Tränke, oder wenn sie den von Sekret geschwollenen [Auswuchs] von der Stirn [des Fohlens?] abschneiden, das Unterpfand für die Liebe der Stute (?): ohne den Giftbecher getrunken zu haben, allein durch Zaubersprüche, geht der Verstand zugrunde."

Was ist das für ein Auswuchs auf der Stirn des Fohlens? Ich mußte spontan an die Temporaldrüse der Elephantenbullen denken, doch ist mir Vergleichbares von den Pferden nicht bekannt. Dann fiel mir auf, daß es hier gar nicht um Pferde zu gehen braucht; nur weil meine Reclamübersetzung von Fohlen spricht, muß das nichts heißen. Es könnte sich beispielsweise auch um ein Reh handeln. (Herr Bubo, wissen Sie vielleicht was darüber?) Zumal Teile des Rehs im Verlauf noch einmal, dann aber mit klarem Bezug, als Zutat für Zaubertränke genannt werden.





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Mal wieder ein Beispiel schwieriger Syntax (651--653):

... nam, quamuis Thessala uates
uim faciat fatis, dubium est, quod traxerit illuc
aspiciat Stygias an quod descenderit umbras.

dubium est leitet eine Entscheidungsfrage ein, deren Glieder mit an "oder" verknüpft sind. Die Unübersichtlichkeit des syntaktischen Geschehens kommt hier einmal dadurch zustande, daß die abgefragten Alternativen in Kausalsätzen stecken ("ob ... weil .... oder weil ...") und zum andern die kausalen Alternativen durch den Hauptsatz, von dem sie abhängen, gesperrt sind. Drittens aber erfordert die Logik eigentlich, daß man den Hauptsatz doppelt, also "... ob x weil y, oder ob x, weil z" --> "... ob x weil y oder weil z", wie wir das im Deutschen ja auch machen würden. Und viertens müssen wir Stygias ... umbras zweifach deuten, einmal als Objekt zu aspiciat, dann als Objekt zu traxerit. Doch der Reihe nach. Lösen wir zuerst mal die Sperrung auf, dann kriegen wir:

dubium est, aspiciat Stygias umbras, quod traxerit illuc, an, quod descenderit.

Dann ergänzen wir ein Objekt für traxerit:

dubium est, aspiciat Stygias umbras, quod eas traxerit illuc, an, quod descenderit.

Und dann können wir noch den Satz logisch auffalten:

dubium est, aspiciat Stygias umbras, quod eas traxerit illuc, an aspiciat Stygias umbras, quod descenderit.

"Fraglich ist, ob sie die Unterweltsschatten erblickte, weil sie sie emporgezogen hatte, oder weil sie hinabgestiegen war."





Lukan beiseite, finde ich bei der ganzen Seuchengeschichte noch ein Detail bei Vergil interessant. Dort spricht der Dichter im Zusammenhang mit erkrankten Tieren davon, daß Opfertiere vor dem Altar zusammenbrechen, noch bevor der Priester den Schnitt hat machen können; daß das Fleisch auf dem Altar nicht brennen will; und daß die Eingeweide unbrauchbar für die Schau sind:

inter cunctantis cecidit moribunda ministros;
aut si quam ferro mactauerat ante sacerdos (488f)

"Zwischen den zögernden Opferdienern sackte das todkranke [Opfertier] in sich zusammen, als hätte es der Priester zuvor geschlachtet"

nec responsa potest consultus reddere uates,
ac uix suppositi tinguntur sanguine cultri (491f)

"Aber der hinzugezogene Seher vermag keine Antwort zu geben, und kaum daß die eingesetzten Opfermesser vom Blut benetzt werden."

Na, das erinnert doch stark an Ovid (Metamorphosen VII 6000f): 596--599

exta quoque aegra notas veri monitusque deorum
perdiderant: tristes penetrant ad viscera morbi.

"Die befallenen Eingeweide besaßen keine Zeichen der Wahrheit mehr und der Mahnungen der Götter: die böse Seuche war bis in die inneren Organe vorgedrungen."

Und, bis einzelne Wörter hinein (suppono/subicio; cado/collabor; cultrum; tingo):

ipse ego sacra Iovi pro me patriaque tribusque
cum facerem natis, mugitus victima diros
edidit et subito conlapsa sine ictibus ullis
exiguo tinxit subiectos sanguine cultros.

"Ich selbst wollte Jupiter um meinetwillen, um der Heimat, des Stamms, der Kinder willen opfern: da stieß das Opfertier ein schreckliches Brüllen aus, brach plötzlich und ohne jeden Schlag zusammen, und nur spärlich netzte das Blut die daruntergehaltenen Messer."

Und weiter, zwar nicht mit wörtlichen, aber doch überzufälliigen Parallelen:

Vergil (Georg. III 498f):

labitur infelix studiorum atque immemor herbae
uictor equus ...

"Das Pferd, der siegreiche Renner, denkt weder an seinen früheren Eifer noch an die süßen Gräser ..."

Ovid: (Met. XII 542ff)

acer equus quondam magnaeque in pulvere famae
degenerat palmas veterumque oblitus honorum
ad praesepe gemit leto moriturus inerti.

"Das schnelle Pferd schmälert den großen Ruhm und die Siegespalme, vergißt seine alten Erfolge und stöhnt, zum Sterben bereit, am Gatter."

Es gibt aber noch weitere Verbindungen. In der westlichen Welt dürfte Thukydides' Schilderung der Pest von Athen während des Peloponnesischen Krieges eine der ersten um Exaktheit bemühten Beschreibungen einer Epidemie und ihrer Folgen darstellen. Der Autor gilt als Begründer der wissenschaftlichen, quellenbasierten um Objektivität bemühten Geschichtsschreibung und steht weder im Ruf zu übertreiben noch, mit den Fakten zugunsten literarischer Topoi, na, sagen wir, kreativen Umgang zu pflegen. Auf seine Angaben sollten wir uns also verlassen können. Nach seiner eigenen Aussage:

καὶ ἐς μὲν ἀκρόασιν ἴσως τὸ μὴ μυθῶδες αὐτῶν ἀτερπέστερον φανεῖται: ὅσοι δὲ βουλήσονται τῶν τε γενομένων τὸ σαφὲς σκοπεῖν καὶ τῶν μελλόντων ποτὲ αὖθις κατὰ τὸ ἀνθρώπινον τοιούτων καὶ παραπλησίων ἔσεσθαι, ὠφέλιμα κρίνειν αὐτὰ ἀρκούντως ἕξει. κτῆμά τε ἐς αἰεὶ μᾶλλον ἢ ἀγώνισμα ἐς τὸ παραχρῆμα ἀκούειν ξύγκειται.

"Und für die Zuhörer wird die wenig ausgeschmückte Darstellung eher weniger ein Lesegenuß sein: Wenn aber die, die das Geschehene und die nach menschlichem Maß gleiche oder sehr ähnliche Zukunft klar erkennen wollen -- wenn die meine Arbeit für nützlich halten, dann mag es genug sein. Dieses Werk ist als dauerhafter Gewinn gedacht gewesen, nicht als Kunststückchen, das nur als Unterhaltung für den Moment dient."

Thukydides, der nach eigenen Angaben selbst erkrankte (2,48), schildert in seinem Geschichtswerk (Peloponnesischer Krieg, 2,47--54) eine Seuche, die in den Jahren 430--426 v. Chr., während des Peloponnesischen Krieges zwischen Athen und Sparta in Athen grassierte. Obwohl der Autor es in seiner Schilderung der Krankheitszeichen und des Krankheitsverlaufs an Genauigkeit nicht fehlen läßt, ist es bislang nicht gelungen, die geschilderten Symptome irgendeiner der modernen Medizin bekannten Krankheit zuzuordnen. Vermutungen reichen von Ebola bis Salmonellose; überzeugen kann keiner dieser Vorschläge. Die Symptome sind laut Thukyides wie folgt: Die Krankheit beginnt mit Hitzegefühl im Kopf (Fieber?), es folgen gerötete, entzündete Augen; blutende Entzündung der Rachen- und Zungenschleimhaut; Mundgeruch; auf diese Anfangssymptome folgen Niesen, Heiserkeit, Schmerzen in der Brust, Husten; geht die Krankheit auf den Magen über, folgt Erbrechen und sehr schlechtes Allgemeinbefinden; oft unproduktiver Würgreiz, Bauchkrämpfe; äußerlich kein Fieber (?), rote oder gelbliche Verfärbung der Haut, Pusteln oder kleine Geschwüre; Gefühl von Hautbrennen, Aversion gegen Berührung, Kleidung oder Decken werden als unerträglich empfunden; Bedürfnis nach Kühle, die viele in Brunnen springen läßt; unerträglicher, unstillbarer Durst; Unruhe, Schlaflosigkeit; wo der Tod nicht nach sieben oder acht Tagen eintritt, breitet sich die Krankheit weiter nach unten aus und führt zu Geschwüren und heftigem Duchfall, in der Folge zu einer Schwächung des Organismus, die meistens tödlich ist. Die Krankheit beginnt am Kopf und wandert im Körper nach unten; wo sie nicht tödlich verläuft hinterläßt sie Spuren an den Extremitäten, den Fingern, Zehen oder Geschlechtsorganen oder sogar den Augen; manche überleben nur unter Verlust eins oder mehrerer dieser Körperteile; wieder andere erleiden eine totale Amnesie bei Gesundung und wissen nicht mehr, wer sie sind.

Nun, wäre Thukydides nicht Thukydides, würden wir sagen, was hat der denn geraucht. Die Zusammenstellung scheint ein bißchen zu illuster, um als Beschreibung eines echten Krankheitsbildes zu taugen. Aber das mal beiseite, darüber sollen, um es mit den Worten des Historikers selbst zu sagen, "andere Autoren, seien es Laien oder Experten, sich den Kopf zerbrechen". Tatsächlich gibt Thukydides selbst zu, daß die "Art dieser Krankheit jeder Beschreibung spottet" (κρεῖσσον λόγου, 2,50,1).

Ich möchte Thukydides noch ein bißchen folgen und weitere Beobachtungen im Umfeld der Krankheit aufzählen. Da ist zum einen zu nennen, daß Aasfresser die Seuchentoten entweder meiden oder nach dem Genuß derselben zugrunde gehen. Eine Ursache ist nicht auszumachen, eine Behandlung, die überall anschlüge, gibt es nicht, was dem einen hilft, verschlimmert den Zustand eines anderen. Die körperliche Konstitution scheint unerheblich, schwache wie kräftige Naturen erkranken und sterben. Ärztliche Zuwendung und Pflege durch Nahestehende verbreiten die Seuche am schnellsten. Wer nicht an der Krankheit stirbt, stirbt möglicherweise an Vernachlässigung, weil sich niemand mehr traut, Umgang mit Erkrankten zu pflegen. Einzig Genesene kümmern sich und geben den Kranken Hoffnung, denn wer die Krankheit einmal hatte, ist entweder immun oder entwickelt nur schwache Symptome. Flüchtlingsströme in die Stadt aufgrund des Krieges verschlimmern die Situation: bald liegen Leichen übereinandergestapelt herum und halbtote Kranke schleppen sich durch die Straßen, um zu den Brunnen zu gelangen. Auch die Tempel füllen sich mit den Leichen derer, die dort Unterkunft gesucht haben. Man kommt nicht mehr nach mit den Beerdigungen, die Rituale werden vernachlässigt, es kommt zu unschönen Szenen: manche werfen ihren Toten auf den Scheiterhaufen eines Fremden und kommen dessen Angehörigen zuvor, indem sie ihn in Brand setzen; andere werfen ihren Toten zu einem schon brennenden dazu.

Soweit Thukydides. Auch wenn man dem Historiker nicht vorwerfen mag, daß er bei seinen Schilderungen Rückgriff auf Topoi genommen habe, so könnte doch er selbst die Grundlagen für Topoi bei späteren Autoren gelegt haben?

Zum Beispiel bei Ovid. Liest man dessen Schilderung der Pest auf Ägina im siebten Buch der Metamorphosen, kann man nicht umhin anzuerkennen, daß Ovid seinen Thukydides im Kopf gehabt habe. Die Parallelen sind dabei so zahlreich und so spezifisch, daß ich nicht glauben kann, daß sie einfach der ähnlichen Natur solcher Ereignisse geschuldet seien. Daß an einer Seuche verendete Tierkadaver von Aasfressersn in Ruhe gelassen werden, mag noch als allgemeine Beobachtung durchgehen (Met XII 549f):

mira loquar: non illa canes avidaeque volucres,
non cani tetigere lupi;

"Ich werde jetzt wundersame Dinge berichten: Hunde, gierige Geier, ja die grauen Wölfe rühren [die Kadaver] nicht an"

Doch schon die Symptome stimmen in Details überein, die vielleicht nicht unbedingt zur "typischen" Seuchenausstattung gehören (XII 554--557):

viscera torrentur primo, flammaeque latentis
indicium rubor est et ductus anhelitus; igni
lingua tumet, tepidisque arentia ventis
ora patent, auraeque graves captantur hiatu.

"Zuerst brennen die Eingeweide, Röte ist das Zeichen der verborgenen Flamme und schwerer Atem; vom Feuer schwillt die rauhe Zunge, der vom heißen Atem trockene Mund steht offen, so schnappen sie nach der verpesteten Luft."

Sogar die Thukydideische Beobachtung der Überempfindlichkeit der Haut taucht wieder auf (558f):

non stratum, non ulla pati velamina possunt,
nuda sed in terra ponunt praecordia

"Sie ertragen keine Matratze, keine Decke, sondern drücken ihre Brust nackt auf die Erde."

Daß die Ärzte sich am schnellsten anstecken und ihnen ihre Kunst zum Verhängnis wird, dürfte auch vor und nach Thukydides beobachtet worden sein und zur Grundausstattung gehören. Aber das Folgende ließ schon bei Thukydides als mögliche Übertreibung aufhorchen:

... passim positoque pudore
fontibus et fluviis puteisque capacibus haerent,
nec sitis est exstincta prius quam vita bibendo.

"Überall sitzen sie ohne jede Scham in Quellen, Flüssen und Brunnen, aber sie löschen durch das viele Trinken den Durst nicht mehr, bevor sie sterben."

Und das hier ist schon fast abgeschrieben:

... partim
semianimes errare viis, dum stare valebant,
adspiceres, ...

"Teils sieht man sie mehr tot als lebendig durch die Straßen irren, solange sie noch auf zwei Beinen stehen können."

Und sind die fremdgenutzten Scheiterhaufen bei Thukydides nicht eine Steilvorlage für den morbiden Humor eines Ovid? In der Tat, das sind sie (606--610):

corpora missa neci nullis de more feruntur
funeribus (neque enim capiebant funera portae):
aut inhumata premunt terras aut dantur in altos
indotata rogos; et iam reverentia nulla est,
deque rogis pugnant alienisque ignibus ardent.

"Die Leichen werden nach keinem ordentlichen Ritus mehr bestattet (die Stadttore hätten so viele Leichenzügen gar nicht zu faassen vermocht): Entweder sie liegen auf der Erde herum oder man wirft sie umstandslos auf den Scheiterhaufen. Ehrerbietung gibt es keine mehr, man streitet sich um die Haufen und brennt auf fremden Feuern."

Möglich bleibt natürlich, daß es Texte zwischen Thukydides und Ovid gibt, die allmählich als Tradition das begründen und verfestigen, was dann bei Ovid (und Vergil) als Topos benutzt wird. Da müßte man mal ein bißchen weitergraben.





Weiter im Lucan

In Pompeius' Lager wird das Pferdefutter knapp, den Tieren fehlt es an frischem Gras, sie werden krank und sterben. Eine Seuche breitet sich aus. Wie bei Lucan zu erwarten, gerät die Beschreibung der Symptome zu einer Orgie aus Fäulnis und Eiter. Der knappe Kommentar in meiner Reclam-Ausgabe vergleicht die Stelle mit Vergil, Georgica 464ff und weist darauf hin, die dortige Schilderung einer Milzbrandepidemie in Noricum sei "klinisch exakt". Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) gibt an, Milzbrand sei "am lebenden Tier selten mit Sicherheit festzustellen" und listet als Symptome auf:

"Beim Rind und Schaf treten meist plötzliche Todesfälle auf. Aus den Körperöffnungen (Anus, Vulva, Mund, Nase) tritt dunkles, schlecht gerinnendes Blut. Erst bei der Zerlegung ist ein Verdacht auf Milzbrand festzustellen. Wenn weitere Tiere mit hohem Fieber, unregelmäßigem Puls, beschleunigter Atmung und evtl. Kolikerscheinungen erkranken, liegt der Verdacht auf Milzbrand nahe. Tierärztliche Behandlung ist nur dann erfolgversprechend, wenn sie frühzeitig einsetzen kann. Beim Pferd: plötzlich hochfieberhafte Erkrankung mit Kolik, Schling- und Atembeschwerden, Atemnot wegen Schwellung im Kehlgangsbereich, auch scheinbare Besserung und Tod nach mehreren Tagen. Beim Schwein können Krankheitserscheinungen am lebenden Tier fehlen, in vereinzelten Fällen sind Atembeschwerden infolge Rechenentzündung sowie Verfärbung und Schwellung im Bereich des Kehlkopfes (Milzbrandbräune) zu beobachten.

Was sagt nun Vergil dazu? Anfangssymptome sind seltsames Verhalten beim Pferd (464--467), dann Durst, Fieber, später Knochenfäule:

... sed ubi ignea uenis
omnibus acta sitis miseros adduxerat artus,
rursus abundabat fluidus liquor omniaque in se
ossa minutatim morbo conlapsa trahebat

"Doch sobald das trockene, feurige Fieber, durch alle Adern getrieben, die erbarmungswürdigen Glieder zusammengezogen hatte, trat hernach reichlich Fäulnis auf und zerstörte die von der Krankheit in sich zusammengefallenen Knochen."

Mh, von aufgeweichten Knochen ist beim BgVV nicht die Rede. Weitere Symptome bei Vergil: zahme Hunde werden tollwütig (496) -- tatsächlich sind Hunde und Katzen wenig anfällig für Milzbrand; keuchender Husten und Atembeschwerden durch verengten Schlund beim Wildschwein (496f); Nahrungsverweigerung und häufiges Aufstampfen beim Pferd, ferner herabhängende Ohren, unregelmäßiges Schwitzen, beim todkranken Tier eiskalter Schweiß (498--501); die Haut wird trocken und spannt sich (501f). Verschlimmert sich der Zustand, tritt ein heller Glanz in den Augen auf, dazu schwerer Atem, Stöhnen, Röcheln, bei dem sich die ganze Flanke anspannt, Blutungen aus der Nase, geschwollene, weiß belegte Zunge (505--508); der Stier bricht mitten auf dem Acker zusammen, spuckt Blut und tut seinen letzten Seufzer (515--517). Hätte Vergil bei der Beschreibung der Seuche in Noricum konkret Milzbrand im Sinn gehabt, dann hätte er Wölfe, Seehunde, Fische, Reptilien und Vögel jedenfalls verschonen müssen (537--547, Milzbrand kommt überwiegend bei Huf- und Klauentieren, nur gelgentlich bei Raubtieren vor; Vögel, mit Ausnahme des Straußes, sind so gut wie rsistent). Wahrscheinlich hat er aber weder Milzbrand im Sinn gehabt (oder eben dasjenige Bündel an Symptomen, von dem wir heute wissen, das es durch Bacillus anthracis verursacht wird), zumal das typischste Zeichen, die schwärzlich verfärbte ("verkohlte", daher der Name) Milz der verendeten Tiere in der Liste fehlt, noch irgendeine andere konkrete Erkrankung: die Schilderungen sind hier wie auch in anderen Texten eine Aufzählung von Stereotypa, deren Ensemble kein identifizierbares Krankheitsbild ergibt, sondern das Bild einer idealtypischen Seuche darstellt.





Noch einmal Parsec

Die Länge des Parsecs berechnet sich wie folgt: Eine AU beträgt exakt 149 597 870 700 m (dieser Wert ist eine Festlegung, der empirische Abstand zwischen Erde und Sonne schwankt wegen der Ellipsenform der Erdbahn und ein paar kleineren Störfaktoren). In dem Dreieck Sonne (S) -- Objekt in 1 Parsec Entfernung (P) -- und Erde (E) beträgt nach der Definition des Parsecs der Winkel SPE genau 1". Durch Trigonometrie erhält man dann die Gleichung:

tan 1" = 1AU/1pc

Durch Umstellung:

1pc = 1AU/tan 1" = 3,08576466×1016 m

Bzw. 3,08576466×1013 km bzw. 3,2616 Lichtjahre. Um zu ermessen, was das praktisch bedeutet, und warum es so lange gedauert hat, bis man durch Triangulation den Abstand benachbarter Sterne messen konnte, muß man sich klarmachen, daß erstens selbst der unserer Sonne naheste Stern, Proxima Centauri, bereits mehr als ein Parsec entfernt ist (nämlich 1,3 pc), seine Parallaxe also weniger als eine Bogensekunde beträgt; eine Bogensekunde, das entspricht dem Winkel, unter dem der Durchmesser eines 1-Euro-Stücks aus vier Kilometern Entfernung erscheint. Also klein. Also sehr, sehr klein. Das muß man erstmal messen können. Was erst 1838 dem Astronomen Wilhelm Bessel beim 11,4 Lichtjahre entfernten Stern 61 Cygni gelang, dessen Parallaxe er mit 0",013 (10,28 Lichtjahre), bei einem mittleren Fehler von 0",02 bestimmte, was innerhalb der damaligen Meßgenauigkeit durch moderne Messungen bestätigt werden konnte. Das vermeintliche Fehlen der Sternparallaxe war übrigens lange Zeit ein Standardargument gegen das Heliozentrische Weltbild: Wenn die Erde, so die Argumentation, sich um die Sonne bewege, dann müßten bei den Fixsternen Parallaxen zu beobachten sein. Aus dem Fehlen derselben wurde gefolgert, die Erde müsse stillstehen. Die Behauptung, die Sterne seien einfach zu weit weg, durfte natürlich mit Fug und Recht als eine argumentative Immunisierungsstrategie abgelehnt werden.

Weiter im Lucan

V 711--716 bietet einen hübschen Vergleich von Schiffen mit Kranichen: die Ordnung der Flotte gerät bei umschlagendem Wind durcheinander, so wie Schwärme von Kranichen, deren Körper im Auffliegen verschiedene Muster bilden, Buchstaben, die weiter oben, wenn die Tiere in den Sog des Südwinds geraten, sich wieder verlieren, während die Schwärme durcheinandergeraten und sich zu Kugeln ballen. Das ist nicht ganz korrekt, Kraniche bilden ja innerhalb kurzer Zeit geordnete V-Formationen aus, aber egal. Die Verbindung von zufälligen Strukturen und den Formen von Buchstaben fand ich interessant. Ich habe mich gefragt, ob der Vergleich vielleicht irgendwo in Lukrez vorkommt, das würde passen. Kommt er aber nicht. Kraniche kommen genau zweimal vor, im vierten Buch, und zwar in einer wortwörtlich wiederholten formelhaften Wendung, in der der Dichter seine eigenen knappen aber wohlklingenden Verse mit dem kleinen Schwan vergleicht, dessen Gesang so viel klangvoller sei als der der größeren Kraniche. (Lucr. IV 183ff und IV 910ff) Von einem Vergleich zwischen Kranichen, die Buchstaben, und Atomen, die Stoffe, Körper und Organismen bilden, findet sich leider nichts.