Mühsam die Arbeit der Schatten, das Kreisen um Türme und Zeiger. Wo war der Juni? Umsonst jagten die Segler das Licht.
(SA 5:06; SU 21:42)
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Und die Schafe mit ihrem Tiergeruch. Eine ganze Herde liegt da in der Sonne und im Schatten von Buche und Ahorn, kaut und liegt und schaut und riecht. Nach Wolle, nach Schafsdung, nach Milchlamm, nach dem satten, saftigen Grün. Ein Café ist gleich um die nächste Biegung. Von mir aus müssen wir nicht. Von mir aus auch nicht. Zwei Augenpaare voll Schalk, schauen sich an, wissen wenig, brauchen nichts zu wissen. Nur Nasenflügel blähen sich, beben, wie Insekten, wie Lungenhautflügler, als der Schafsgeruch in die Stirne strebt. Von einem umgestürzten Baum hängt ein duftender Bocksbart. Gott Pan persönlich kämmt hufige Sanftheit aus der Luft. Wenn dann die Wege lang werden, drückt der Mittag, macht der Tag ein Hohlkreuz, das bückt sich unter Schatten hindurch, und schmal fallen die Bäche durchs Licht, wo die Buchen die Vernunft ausbluten lassen und wilde Möhren den Kopf im Grund kühlen. Da haben es zwei eilig, da springen zwei über den Weg. Hände umtänzeln Hüfte und Brust, wie Hunde: Spielst du? Spiel mit mir! Küsse? Natürlich, die gibt es auch, darauf läuft es hinaus auf dem hinreichend langen Weg. Nicht als ob nichts wäre, sondern so, daß alles ist. Küsse wie Wellenschlag am ferneren Ufer eines Sees. Küsse wie das Blinde hinter geschlossenen Lidern. Ein See, an dessen schlammigem Grund vergessene Uhren lagern. Aus Booten gefallen, von Gelenken gerutscht, beim Schwimmen vergessen, in versunkenen Palästen zurückgelassen. Uhren auf der Suche nach ihrer Zeit, blind, die Zeiger tastend wie Zungen. Solche Küsse sind. Im Mittag, auf seiner abgewandten Seite. Zerfließende Töchter von Schatten, die Felle zu Tal ziehen. Muß nur die Wiese mit den Beinen strampeln, schon fliegt ein Schuh ins Gebüsch. Was hinterherfliegt, hat keiner gesehen. Später ist später, eine ermattete Zeit. Langsame Kähne hobeln Schicht um Schicht Licht vom geduldigen Strom. Geschundene Brauen, es brennt von Zucker und Haut, durch die sich die Stunden beißen hinaus ins Freie und Helle des Schlafs.
(Der aktuelle (17.6.2019) Zählerstand für Schwarzweißkopien auf unserem Dienstkopierer ist die Postleitzahl von Bad Laasphe.)
Die Jahreszahl des Datums zu schreiben wird immer seltsamer. (Neben der tagtäglichen Aufgabe, das in ihnen verlaufende seltsame Leben auch zu leben) Scheinbar sind die Zahlen alle neutral, abstrakt und beliebig, Zahlen halt, für sich selbst ohne Bedeutung. Tatsächlich schwingt bei der "19" (aber auch schon bei der "16", der "17" und der "18") aber ihr Abstand von dem mit, was ich als mein "normales" Leben bezeichnen möchte, und dessen Verlauf sich in der Erinnerung durch "normale" Zahlen ausgedrückt findet. Ich schreibe eine "19", und fast ergreift mich ein Grauen (keine Rede von Ehrfurcht). Die Menschen im Jahr 1919 schrieben auch diese Zahl, und für sie muß jene Gegenwart ja genauso selbstverständlich die Gegenwart des Jahres 1919 gewesen sein, wie uns heute die Gegenwart selbstverständlich die des Jahres 2019 ist. Aber wenn man mal anfängt, darüber nachzudenken, ist nichts mehr daran selbstverständlich, und alle Gewißheiten zerfallen zu einem fröstelnden Nichts. Man kann die Gegenwart nicht als selbstverständlich erleben, es sei denn, man ist total gedankenblind. Wenn man das nicht ist, wird man die Gegenwart (jede Gegenwart, und dadurch, das es mehrere gibt, die nicht austauschbar oder vergleichbar sind) als höchst beunruhigend, als zutiefst verstörend empfinden müssen. Und auch, daß diese Zahl ständig wächst. Und jedes Jahr wird es aufs neue selbstverständlich, während die kleineren Zahlen es nicht mehr sind, und in diesem aus der Selbstverständlichkeit Fallen liegt das Grauenhafte. Wie war es möglich, einmal selbstverständlich im Jahr 2015 (oder 2014, oder 2013, oder 2012) gewesen zu sein? (Und doch fühlte es sich normaler an, 2012 zu schreiben. Als dehnte man einen vertrauten Körper in unzulässig extreme Werte.)
Juni, ein greller Jahrmarkt. Zähe, klebrige, süße Luft, als watete man durch das nicht mehr ganz frische Innere einer Torte.
Sahne, Marzipan, ein gärender Strauch Kirschen, Wurzeln wie Löffel, um den Rand von Pfützen stauen sich Zuckergüsse. Nicht sauber geklebt, der Holzleim tritt über die Zunge und tropft unters Hemd. Wasserläufer testen, ob der Tümpel schon trägt.
Der Asphalt schmeckt nach einem Fiebertraum, der Gaumen wird davon pelzig, wie Brause platzen die Wolken, regnen tut es nicht. Es wartet. Es tränkt die Hügel mit Schweiß. Es schiebt Wolken zusammen im Hof. Mehr Wolken, glühende Wolken, wie die Fäden aus einer Zuckerwattetrommel.
Insekten wie Nadeln, die meine Haut feststecken, daß sie bei der Anprobe nicht verrutscht. Wie Wüstensand wandert der Pollen, scharf wie Pfeffer. Ein Griff in den Wind: als tauchten die Finger in einen alten Kaugummi unter der Schulbank. Ausgespuckt und festgeklebt letzten Sommer, als es auch schon so heiß war.
Nachts dann betrinken sich irgendwo Keller, lassen sich vollaufen, während der Himmel von Bässen schwankt. Im Halbschlaf höre ich ein Flugzeug, unsicher folgt es dem gesprungenen Glas der angeschwärzten Himmelskuppel. Die Feuerwehrsirenen sind piepsige Stimmchen, sie wollen nach Hause, ehe die Türme bersten. Mein Kopf und das Kissen, allein spielen sie Reise nach Jerusalem. Die Flugzeuge haben sich zum Horizont geangelt. Als die Musik verstummt, wringe ich meine Zunge aus, ziehe ich mir einen Traum über die Ohren und lasse das Kissen gewinnen.
Soll ich jetzt noch und noch und noch einen Text über meine Laufstrecken schreiben? Den Acker noch weiter bearbeiten? Ja. Es ist ein Irrtum zu meinen, daß man damit, wie mit überhaupt irgend einem Stück Welt, je fertig würde. Es geht nicht um Ermüdung, die Welt läßt sich nicht ermüden. Reiß dich zusammen, schreib! Es geht um Erneuerung. Es geht um Gründe. Es geht um alles. Jahreszeiten, Flora, Fauna, Landschaften, äußere kartierte, innere unkartierte, Wege ins Dickicht, Wege ins Freie, das Aquarell des Himmels, das Gewicht der Wolken, des Lichts, und alles als Ursache und Grund zu Worten, ihre Rechtfertigung. Oder ist es umgekehrt? Sind die Worte die Rechtfertigung dafür, daß überhaupt etwas da ist? Die Abtragung vielleicht einer elementaren Schuld, die wir am Dasein haben, einer Schuld, die sich nur dadurch sühnen läßt, daß man dichtet?
Una salus victis nullam sperare salutem.