Zur Frage, für wen eigentlich -- wenn überhaupt -- in den Pharsalia die Erzählerfigur Partei ergreift, gibt der Vergleich zwischen III 103--109 (der Beschreibung von Caesars Einzug in Rom) und V 30--34 (der Bewertung dieses Besitzergreifens durch den scheidenden Consul Lentulus in Epirus) einen Hinweis:

... Phoebea Palatia conplet
turba patrum nullo cogendi iure senatus
e latebris educta suis; non consule sacrae
fulserunt sedes, non, proxima lege potestas,
praetor adest, uacuaeque loco cessere curules.
omnia Caesar erat: priuatae curia uocis
testis adest. ...

"Der Apollotempel füllt sich mit einer Schar Patrizier, die Caesar -- ohne Amtsgewalt, den Senat einzuberufen -- aus ihren Schlupfwinkeln hatte herausholen lassen; die geheiligten Sitze glänzten nicht mit ihren Inhabern, den Konsuln, noch war der nächstgeringere in der Amtsgewalt, der Prätor, anwesend, und leer ließen die Stühle ihren Platz. Alles mußte Caesar in einer Person spielen, und die Curie ist Zeuge der Stimme eines Privatmannes."

Wenn nun Lentulus im Walde pfeift und darauf pocht, daß Rom dort ist, wo der Senat ist; daß Caesar zwar die Stadt besitzt, aber nicht die Römische Republik; daß das Recht vom Senat, den rechtmäßig gewählten Consuln und übrigen Amtsträgern konstituiert wird -- dann spricht er aus, was ihm schon zwei Bücher zuvor die Erzählstimme vorauseilend bestätigt hat. Und er tut es unter Berufung auf ganz ähnliche Bilder:

... maerentia tecta
Caesar habet uacuasque domos legesque silentis
clausaque iustitio tristi fora; curia solos
illa uidet patres plena quos urbe fugauit:
ordine de tanto quisquis non exulat hic est.

"Caesar besitzt traurige Gebäude und leere Häuser und ruhende Gesetze und ein Forum, das vom Ausnahmezustand geschlossen ist; jene Kurie erblickt nur die Patrizier, die aus der Stadt geflohen waren, bevor sie verlassen wurde: Jeder aus unserem großen Kreis, der nicht (anderswo) im Exil ist, ist hier."

Die Erzählerfigur läßt also Lentulus noch einmal aussprechen, was sie selbst bereits konstatiert hat, und ergreift damit im vorhinein Partei zumindest für das, was Lentulus in seiner Rede beschwört: die res publica libera Romana.





Lucan IV 382-401

heu miseri qui bella gerunt! tunc arma relinquens
uictori miles spoliato pectore tutus
innocuusque suas curarum liber in urbes
spargitur. o quantum donata pace potitos
excussis umquam ferrum uibrasse lacertis
paenituit, tolerasse sitim frustraque rogasse
prospera bella deos! nempe usis Marte secundo
tot dubiae restant acies, tot in orbe labores;
ut numquam fortuna labet successibus anceps
uincendum totiens; terras fundendus in omnis
est cruor et Caesar per tot sua fata sequendus.
felix qui potuit mundi nutante ruina
quo iaceat iam scire loco. non proelia fessos
ulla uocant, certos non rumpunt classica somnos.
iam coniunx natique rudes et sordida tecta
et non deductos recipit sua terra colonos.
hoc quoque securis oneris fortuna remisit,
sollicitus menti quod abest fauor: ille salutis
est auctor, dux ille fuit. sic proelia soli
felices nullo spectant ciuilia uoto.

"Ach, die Armen, die Krieg führen! Damals überließen die Soldaten ihre Waffen dem Sieger und verstreuten sich mit vom Harnisch entblößter Brust sicher und ohne Harm und frei von Sorgen in ihren Heimatstädten. Oh, wie sehr reute es sie, nachdem sie des geschenkten Firedens teilhaftig geworden, daß sie jemals mit schwingenden Armen das Eisen geschleudert, Durst ertragen und vergebens die Götter um lukrativen Kriegszug angefleht hatten! Denn es bleiben ja auch für die, die sich des Glücks im Krieg hatten erfreuen dürfen, so viele Unternehmungen zweifelhaften Ausgans, so viele Mühen auf dem Erdkreise. Damit das zwiespältige Geschick im Erfolg niemals schwankend werde, muß ja soundsooft gesiegt sein; in den Boden aller Länder muß das Blut vergossen, muß Caesar in Wohl und Wehe die Treue gehalten werden. Glücklich, wer, wenn die Welt sich zum Untergang neigt, schon weiß, an welchem Ort er liegen wird. Die Erschöpften rufen keine Schlachten; keine Trompete unterbricht den tiefen Schlaf. Gattin und ungebildete Kinder, ein einfaches Dach und die eigene Erde sind den Bauern, die niemals wegziehen, Zuhause. Diese Last auch erließ das Schicksal ihnen, daß ihre Gemüter nicht von der Frage der Gunst gequält werden: Denn von jenem hing die Rettung ab, dem andern aber hatte man den Treueid geschworen. So schauen sie, als einzige glücklich, ohne auf einen der beiden Anführer zu wetten, dem Bürgerkrieg zu." -- Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.


"In der Eingangs erwähnten Umfrage erklären 79 Prozent der Österreicher*innen, sie würden sich beim Kauf von Autos selbstverständlich Gedanken über den Treibstoffverbrauch machen. Der tatsächlich beliebteste Fahrzeugtyp mit einem Anteil von fast zwei Dritteln an den Neuzulassungen ist der SUV. Tja."

Ein paar bekannte Probleme und Argumente noch einmal auf den Punkt gebracht.





(Meine unmaßgebliche Ansicht: Irgendwo zwischen 1990 und heute ist die Menschheit falsch abgebogen. Und da sind wir nun. Auf dieser absurden Nebenstraße. Eine Geisterbahn. Man möchte nach dem Sicherungskasten greifen und dem Ding den Saft abdrehen, aussteigen, aufatmen und ans Licht zurückklettern.

Und dann die Ärmel hochkrempeln und die Welt gestalten.

So.)





Ich warte schon auf die Einführung des Handels mit Flüchtlingszertifikaten.





Zum Problem der vermeintlichen, überall billig konstatierbaren (der wohlfeilen) Frauenfeindlichkeit: Korrekt, weil von unvoreingenommener Warte aus gesprochen, wäre stets die Nullhypothese vorauszusetzen, also die Gleichstellung von Mann und Frau. Vor diesem Hintergrund könnte man dann nach exakten Kriterien Abweichungen feststellen. Derzeit läuft es umgekehrt: Vorausgesetzt wird die Ungleichheit und die (sowieso bestehende) Benachteiligung der Frau. Vor dieser Annahme einer latenten Ungerechtigkeit können dann nur noch konkrete Instantiierungen dieser Ungerechtigkeit konstatiert werden, die die Annahme nicht verletzen sondern sie immer nur bestätigen. (Nur so ist es beispielsweise möglich, daß an und für sich symmetrische Verhältnisse asymmetrisch gedeutet werden können, beispielsweise die Fellatio als männliches Unterdrückungsinstrument, der Cunnilingus jedoch nicht als weibliches -- allenfalls wiederum als Manifestation männlicher Dominanz. Es ist zum Verrücktwerden. Desgleichen, um beim Beispiel zu bleiben, werden frauenfeindliche Deutungen eines Witzes, in der von Fellatio die Rede ist, einer Interpretation vorgezogen, die in dem Witz zwei beteiligte Männer sieht, obwohl das Geschlecht des zweiten Beteiligten für den Witz nicht relevant ist und auch gar nicht genannt wird. Es ist nur von einem Magen die Rede. Wie soll man aber beweisen, daß die Verhältnisse zwischen Fellatio und Cunnilingus symmetrisch sind, wenn als Entgegnung stets auf die prinzipielle, latente Unterdrückung der Frau verwiesen werden kann? Jede Begegnung zwischen Mann und Frau kann jederzeit als Instantiierung dieser Latenz gelesen werden und wird es auch. Paragraph 1: Der Chef hat immer recht. Paragraph 2: Sollte der Chef einmal nicht recht haben, tritt automatisch Paragraph 1 in kraft. Wie läßt sich dem entgehen? Indem man mit Gründen den Irrtum des Chefs nachweist. Unter diesen Verhältnissen kann ein Mann gar nicht anders, als seine Partnerin zu unterdrücken, ganz gleich, wie er sich verhält, und noch ein so harmloser Text wie das inkriminierte Gedicht von Eugen Gomringer kann, wenn sich geneigte Kläger finden, als frauenfeindlich gelten.) Das Problem bei der latenten Ungerechtigkeit ist, daß ich Regelbefolgungen nicht konstatieren, nur widerlegen kann, während sich allein Regelverstöße als Abweichungen der Grundannahme feststellen lassen. Das führt dazu, daß wir eine Gleichstellung niemals beweisen können, und das wiederum führt dazu, daß eine Gleichstellung niemals erreicht werden kann. Es sei denn, wir setzen sie voraus und ahnden die dann auffällig gewordenen Verletzungen derselben.





Die frohe Gesellschaft, und wie ich sie fliehe und ersehne. Kein Moment länger hätte mir dort noch mehr Vergnügen bereiten können, doch kaum bin ich weg, ist der Abend voller ungenutzter Möglichkeiten. Keins der Gespräche, die ich hätte führen wollen, habe ich geführt. Dafür solche, von denen ich nicht wußte, daß ich sie führen wollte. Wie immer ist alles zuviel auf einmal. Eine Runde zu viert ist schon fast mehr, als meine Aufmerksamkeit verarbeiten kann. Es ist zu laut, ich muß zu laut reden, um noch Freude am Sprechen haben zu können. Ich ermüde. Die Stimme wird brüchig und verwaschen, als wäre ich Stunden im Frost gewandert. Ich komme mir übertrieben vor, zu laut, zu hektisch lachend, ich bin angestrengt, ich arbeite, während ich rede und die anderen sich amüsieren. Ich beobachte mich selbst, schweife ab, höre nicht mehr zu. Der Raum dröhnt, Stimmen dringen von überall an mein Ohr, ein Kind schreit, gegenüber lacht jemand, mein Blick pendelt weg, unhöflich gegen den Gesprächspartner, den ich über alles schätze, nur zeigen kann ich es ihm nicht, weil ich zu beschäftigt damit bin, Herr der Situation zu bleiben, Herr meiner Sinne, zu ausgelastet damit, alles, was an Eindrücken auf mich einprasselt, zu sortieren und mit den Empfindungen, die aus mir selber stammen, abzustimmen. Es ist die einzige Gelegenheit im Jahr, bestimmte Menschen, die mir viel bedeuten, zu sehen, aber es sind zu viele auf einmal. Wie gern würde ich mich einen Nachmittag mit Anna W. unterhalten, in der Stille eines Wohnzimmers; wie gerne hätte ich endlich mehr über Jupp H. erfahren, nach all den Jahren weiß ich immer noch nicht, was für ein Mensch das eigentlich ist. Oder N., die, später eingetroffen, mir Sitzendem zur Begrüßung von hinten die Schultern drückt, als wären wir dicke Kumpels, daß mir ganz warm wird. Oder S., die mir blaß, und, obwohl sie doch so hübsch ist, häßlich erscheint, als hätte jemand ihr schönes Gesicht durch eine Karikatur ersetzt, seit wir uns das letzte Mal gesehen und ich ihre Schönheit bewundert habe; ich fürchte, es geht ihr nicht besonders, ich werde es nicht erfahren. Einen Moment, und es sind solche Betrachtungen, die mich immer wieder aus der Unterhaltung hinauskegeln, ich muß sehr unhöflich gewirkt haben, einen Moment denke ich, wie muß sich das anfühlen für einen wie A., einen Plauderer, der in jeder Runde drauflosquatscht, selbstsicher, schamlos und interessant, ohne die geringste Sorge zu haben, er könne jemanden ermüden, enttäuschen, oder jemandem dazu Veranlassung geben, sich für ihn zu schämen. A. schafft es sogar, in einer Runde die Mehrheit bildender Naturwissenschaftler das Thema zu bestimmen und von Dingen anzufangen, die alle Gelehrten mundtot machen, weil sie sich nicht darin auskennen, und er schafft es, daß man ihm dabei zuhört, ohne daß einer das Thema als unwichtig, den Gegenstand nutzlos oder die Beschäftigung damit als irrelevant bezeichnet. Einmal habe ich erlebt, wie einer dieser Wissenschaftler die chinesische Schrift als dringend abschaffungswürdig erklärte, was für ein ineffizientes, überdeterminiertes, arbiträres, schwer zu lernendes System, mein Gott. A. hätte diesen Elektrotechniker und Quantenphysiker in Grund und Boden geredet, wäre er nur anwesend gewesen. Ich konnte nur verschämt schweigen. Mein erster Gedanke dazu ist, Menschen wie A. müssen glücklich sein und stolz auf sich -- aber das kann nicht stimmen. Der zweite Gedanke ist nämlich, ich selbst, ich wäre überrascht von mir, wenn mir gelänge, was A. gelingt, ich wäre stolz über etwas, von dem ich bislang nicht geglaubt hätte, daß ich es kann. Für die Menschen aber, die es können, gehört dieses Vermögen ja seit je zum selbstverständlichen Hintergrund, zu den unbezweifelbaren Rahmenbedingungen ihres Daseins, infolgedessen sie auch nicht stolz auf sich sein können, wenn sie sich in jeder Runde wohlfühlen und drauflosquatschen, wenn sie Wirkung haben in einem sozialen Gefüge, wo einer wie ich nur verstummen kann, denn es muß dies etwas sein, das sie vermutlich noch gar nicht bemerkt, noch nicht an sich selbst begriffen haben.





Hände wie Stuhllehnen, Haare aus Bast, Haltung einer Vogelscheuche, einer Vogelscheuche gleicht sogar der Gang, sein schwankendes (Geh ich runter, komm ich rauf?) Stehen, als hätte diese Gestalt an der Treppe auf dem Bahnsteig, einen Moment zuvor noch auf dem zugigen Feld ein mit Stroh gefülltes Gestell aus Hölzern und Lappen, eben erst gelernt, auf Menschenfüßen zu gehen. Ein Gesicht wie Schlamm, weich, zerlaufend, mit einem triefend dunklen Mund und verschmierten Kieselaugen. Er riecht nach alten Klamotten und Rauch. Seine Sprache ist noch ungelenk, die Konsonanten voller Splitter, die feuchten Vokale vom Wind, der durch Ritzen von Schuppen und Scheune fährt, abgeschliffen. Zugeflogen die Wörter, deren Verknüpfung keinen Sinn ergibt, als läse jemand Ausdrücke und Phrasen aus einem durchgemischten Satz Kühlschrankpoesie vor. Mit jedem Satz winkt er ab, als wäre sowieso alles hin, Kant, kategorischer Imperativ, alles umsonst, Freud, das Unbewußte, Hegel, hab ich auch schon gemacht, Heidegger, mehr Namen und Schlagwörter quellen aus dem Mund, begleitet von Speichelspritzern, als würden in seinem Innern Strohballen ausgewrungen. Zwischen den Wurzelfingern qualmt bei seinem Abwinken die Zigarre wie ein Weihrauchgefäß, als wolle er mich, sein auserkorenes Publikum, damit segnen.





Nun ist die Apotheke unterm Uni-Center in der Luxemburger Straße schon fünf, sechs Jahre aufgegeben. Das Schild hängt noch über der Schaufensterfront, eine Liste mit Notfallapotheken ist immer noch neben der Türklingel angebracht, und hinter dem Glas hat sich noch mehrere Jahre lang eine immer mehr ausbleichende Werbung für ein Schnupfenmittel gekrümmt. Irgendwann muß sich jemand, der Eigentümer der Gewerbefläche vielleicht, erbarmt und die Fenster mit Packpapier verhängt haben, auch das ist jetzt schon ein paar Jahre her.

Heute stand ich an der Haltestelle gegenüber und ließ den Blick über die Ladenzeile gleiten, mit jener Langeweile und Trägheit, wie sie einen in Wartezeiten überkommt, die nicht besser zu überbrücken sind als mit interesselosem Schauen. Da gibt es eine Fitneßbude, einen Schnellimbiß mit Libanesischen Spezialitäten, einen Schreibwarenladen mit Postagentur, eine Bäckerei und eben jenen leerstehende Ladenraum, in dem früher die Apotheke war. Wie viele Apotheken, so zeigt auch diese ihre hilfreiche Existenz durch ein rechtwinklig an die Hauswand angebrachtes Zeichen, ein aus Leuchtstoffröhren geformtes Fraktur-A an. Jetzt sah ich, daß das Fraktur-A erleuchtet war. Und nicht nur leuchtete das A, es blinkte auch. Jetzt erlosch es, während an seinem rechten Fuß ein grünes Kreuz aufleuchtete. Dann erlosch dieses, während das A wieder aufblinkte. Und so ging es beharrlich weiter. Und ich fragte mich, ob ich das bislang übersehen habe, oder ob es das erste Anzeichen einer Neueröffnung der Apotheke sei. Aber welcher zukünftige Apotheker setzt als erstes so ein Blinklicht instand, ohne wenigstens die baldige Neueröffnung im Fenster anzuzeigen. Das Fenster war so packpapierblind wie all die vergangenen Jahre auch schon. Oder hatte ich das Leucht-A bislang übersehen? Blinkte es jetzt vielleicht schon sechs Jahre oder länger vor sich hin, beharrlich, tapfer und unermüdlich, starrsinnig oder seinem alten Besitzer sklavisch die Treue haltend, wie ein Hund, der es nicht aufgibt, alle halbe Stunde zur Tür zu laufen und nach seinem Herrchen zu jaulen? Beseelt von einer aberwitzigen Hoffnung auf bessere Zeiten? Daß jemand jahrelang einen elektrischen Mechanismus an einer aufgegebenen Apotheke gewartet haben soll, erscheint völlig absurd. Warum sollte man eine Leuchtreklame, die für nichts mehr wirbt, am Leuchten halten? Wenn es aber ein Versehen war, das Ding vergessen wurde und dann unbemerkt und ohne kaputt zu gehen jahrelang vor sich hin geblinkt hat, dann ist zumindest die Frage, wer all die Jahre die Stromrechnung bezahlt hat.

In der Behörde, der ich meine Arbeitskraft zur Verfügung stelle, werden turnusmäßig alle zwei Jahre sämtliche Leuchtstoffröhren einmal ausgetauscht. Die Überlegung dabei ist, daß es weniger Verwaltungsaufwand bedeutet, die Röhren alle auf einmal auszutauschen, als darauf zu warten, daß sie nach und nach kaputt gehen. Man bestellt lieber ein paar hundert Röhren und klappert alle Gebäude in einem einzigen Arbeitsgang ab, als für jede kaputte Röhre eigens Ersatz zu bestellen und den Schaden Röhre für kaputte Röhre zu beheben. Schließlich muß für jeden Ausfall und jede Reparatur ein Verwaltungsvorgang mit eigener Dokumentation angeworfen werden, und bis die neue Röhre endlich eingetroffen und die alte ausgetauscht ist, sitzt man im Dunkeln (oder im Flackerlicht). Dabei rechnet man damit, daß die allermeisten Röhren mindestens zwei Jahre halten; indem man die Zeit so wählt, daß man garantiert nur gesunde Röhren austauscht, stellt man sicher, daß keine Röhre schon vor dem Generaltausch ausfällt, was ja den Vorteil der Maßnahme wieder zurücknehmen würde. Auf der anderen Seite läßt man sie gerade lange genug brennen, daß der turnusmäßige Austausch nicht teurer kommt als der stückweise Austausch nach Ausfall. Diesen Zeitpunkt zu bestimmen ist ein Fall für Versicherungsmathematiker. Jedenfalls dürfte der Zeitpunkt des statistisch erwartbaren Ausfalls einer Röhre deshalb irgendwo knapp über zwei Jahren liegen.

Umso unglaublicher wäre es, wenn besagtes Fraktur-A jetzt schon mehr als sechs Jahre tadellos blinken würde. Ich schätze die Frequenz des Blinkens für jeweils den Buchstaben und das grüne Kreuz auf zwei Sekunden. Dann hätte sowohl das A als auch das Kreuz in sechs Jahren (6 x 365 x 24 x 60 x 60) / 2 = 94608000 Mal geblinkt. Ein verrückter Gedanke: Daß es zu jeder meiner Lebenssekunden dieser sechs Jahre (und länger), genau einen Blinkzustand des Buchstabens und des Kreuzes gegeben hat. Ich saß auf der Toilette: An, aus, an. Ich drehte eine von hunderten Runden durch den Wald: An, aus, an. Ich war an der Nordsee, an, ich fuhr zur Arbeit, aus, ich schlief, an, aus, ich seufzte nach einem anstrengenden Tag, aus, an, aus, ich ärgerte mich über einen Schüler oder freute mich über eine reizende Lektüre, trank einen Kaffee, bohrte in der Nase, stand unter der Dusche: An, aus, an, aus, an, aus. Während ich dies schreibe: An, aus, an, aus. Und neben diesem einen Blinklicht gibt es ja tausende, wenn nicht Millionen ähnlicher Blinklichter auf diesem Globus, an Baustellen, an Krankenwagen, an Weihnachtsbäumen und als Winterfensterschmuck, auf Hochhäusern und auf Leuchtreklamen aller Art, an Flughäfen und Flugzeugen, an Windkraftanlagen und Fernmeldetürmen, an Masten, an Schiffen, an Computernetzteilen und Müllwagen, alle in minimal anderen Rhythmen, einige vielleicht nur um Nanosekunden verschoben, so daß man erst in Jahrtausenden merken würde, daß sie nicht synchron sind. Stellte man sie alle nebeneinander, es gäbe ein kolossales Geflacker.





Die beiden Hundehalter, ein Paar, ihrerseits von einem Hundepaar begleitet, sie gehen in die Hocke, heben ihre bebrillten Gesichter auf, als schöpften sie in Kellen Licht aus der Dämmerung, ihre Hände tasten, tasten wie blind nach dem Fell der Tiere, und während ich vorbeilaufe, gleichen ihre gebeugten Knie denen von Menschen, die bei heimlichem Tun ertappt worden sind. Kaum bin ich außer Sichtweite, werden sie einander auf die Schulter klopfen, stelle ich mir vor, und sich krümmen vor lautlosem Lachen.





Wenn die Katze endlich zu fressen beginnt, gibt es ein Geräusch, als drehte man den Löffel in der Zuckerdose um. Dann folgt ein Schmatzen. Wenn die Katze endlich zu fressen beginnt, wählerisch, vorsichtig, als wäre die Mahlzeit noch fast zu heiß, fängt sie vorne an, am Schädel, sie beißt mit den hinteren Zähnen seitwärts zu. In der Mitte knirscht es nicht mehr, erst das letzte Stück, das am Schwanz festhängt wie ein Köder an der Angelschnur, gibt noch einmal ein mürbes Krachen, ein Krächeln, von sich. Der Bauchraum läßt eine graue Ziehharmonika aus Enddarm frei, der bleibt übrig und schleift eine Blutspur über den gekachelten Boden des Hausflurs. Magen, Leber, Lunge wandern ins Maul der Katze. Die Nieren werden verschmäht, scheinen, wie der Enddarm, nicht zu schmecken. Es krächelt, und der Unterleib verschwindet zwischen den Zähnen, nicht einmal der Schwanz, den ich mir unangenehm im Kaugefühl vorstelle, (aber was weiß ich schon vom Kaugefühl einer Katze, und wäre mir der Schädel samt Kiefer und Nagezähnen oder das Becken lieber?) ähnlich einem Stück Pelle am Ende der Wurst, bleibt übrig, übrig bleiben neben dem Darm nur zwei, halt, drei hellrote, glatte Kügelchen. Drei? Wieso hat diese Maus drei Nieren besessen? Doch was da nach dem Aufwischen kleinfingernagelgroß und annähernd rund auf dem Küchenkrepp liegt, sind keine Nieren. Unter einer gespannten glatten, transparenten Membran zeichnen sich Körperformen ab, liegt etwas eingefaltet wie eine Made, wie ein Parasit, sind am Ende einer Raupenform, aus der Pfotenwülstchen herauswachsen, winzige Schädelchen mit punktförmigen, schwarzen Augen daran auszumachen, die betreten dreinblicken, als wären sie bei einem dummen Streich ertappt worden, dessen tatsächliche katastrophale Folgen sich noch gar nicht zu erkennen gegeben haben.