Zum Problem der vermeintlichen, überall billig konstatierbaren (der wohlfeilen) Frauenfeindlichkeit: Korrekt, weil von unvoreingenommener Warte aus gesprochen, wäre stets die Nullhypothese vorauszusetzen, also die Gleichstellung von Mann und Frau. Vor diesem Hintergrund könnte man dann nach exakten Kriterien Abweichungen feststellen. Derzeit läuft es umgekehrt: Vorausgesetzt wird die Ungleichheit und die (sowieso bestehende) Benachteiligung der Frau. Vor dieser Annahme einer latenten Ungerechtigkeit können dann nur noch konkrete Instantiierungen dieser Ungerechtigkeit konstatiert werden, die die Annahme nicht verletzen sondern sie immer nur bestätigen. (Nur so ist es beispielsweise möglich, daß an und für sich symmetrische Verhältnisse asymmetrisch gedeutet werden können, beispielsweise die Fellatio als männliches Unterdrückungsinstrument, der Cunnilingus jedoch nicht als weibliches -- allenfalls wiederum als Manifestation männlicher Dominanz. Es ist zum Verrücktwerden. Desgleichen, um beim Beispiel zu bleiben, werden frauenfeindliche Deutungen eines Witzes, in der von Fellatio die Rede ist, einer Interpretation vorgezogen, die in dem Witz zwei beteiligte Männer sieht, obwohl das Geschlecht des zweiten Beteiligten für den Witz nicht relevant ist und auch gar nicht genannt wird. Es ist nur von einem Magen die Rede. Wie soll man aber beweisen, daß die Verhältnisse zwischen Fellatio und Cunnilingus symmetrisch sind, wenn als Entgegnung stets auf die prinzipielle, latente Unterdrückung der Frau verwiesen werden kann? Jede Begegnung zwischen Mann und Frau kann jederzeit als Instantiierung dieser Latenz gelesen werden und wird es auch. Paragraph 1: Der Chef hat immer recht. Paragraph 2: Sollte der Chef einmal nicht recht haben, tritt automatisch Paragraph 1 in kraft. Wie läßt sich dem entgehen? Indem man mit Gründen den Irrtum des Chefs nachweist. Unter diesen Verhältnissen kann ein Mann gar nicht anders, als seine Partnerin zu unterdrücken, ganz gleich, wie er sich verhält, und noch ein so harmloser Text wie das inkriminierte Gedicht von Eugen Gomringer kann, wenn sich geneigte Kläger finden, als frauenfeindlich gelten.) Das Problem bei der latenten Ungerechtigkeit ist, daß ich Regelbefolgungen nicht konstatieren, nur widerlegen kann, während sich allein Regelverstöße als Abweichungen der Grundannahme feststellen lassen. Das führt dazu, daß wir eine Gleichstellung niemals beweisen können, und das wiederum führt dazu, daß eine Gleichstellung niemals erreicht werden kann. Es sei denn, wir setzen sie voraus und ahnden die dann auffällig gewordenen Verletzungen derselben.