"Wozu hältst du hier das Schwert in der Hand, unter dem gewöhnlichen Soldatenhelm das Gesicht verborgen, unkenntlich dem Feind?" (VII 586--596)

Wie ist diese Stelle gemeint? Zunächst liegt es nahe, sie als Vorwurf an die Untätigkeit des Brutus zu lesen, der sich lieber unter dem Soldatenhelm versteckt, als den Versuch zu wagen, Caesar in der Schlacht (und nicht etwa heimtückisch im Senat, wie es später dann tatsächlich passiert) zu töten. Dann wäre die Aufforderung an Brutus, sich nicht allzu leichtfertig ins Getümmel zu stürzen, ironisch gemeint: "Sieh zu, daß du dich nicht überanstrengst, Brutus!" Andererseits paßt das nicht zur Aussage, Brutus werde hier nichts erreichen, wenn er Caesar an die Gurgel gehe, und er solle seinen eigenen Untergang (fatales Philippos) nicht überstürzen. Die Apostrophe ("was machst du hier, Brutus?"), die den Lauf der Ereignisse indirekt vorwegnimmt (nil proficis istic "du wirst hier nichts erreichen"), schafft eine paradoxe Erzählsituation, in der einerseits infolge der Präsenz der Situation, in der eine handelnde Person angesprochen wird, noch möglich scheint, was, wie wir ja wissen, unmöglich ist; andererseits aber durch den Inhalt der Anrede der aus Sicht der Leser bereits geschehene Lauf der Dinge als Vorhersage dem Angeredeten mitgeteilt wird. Als Eindruck bleibt zurück, daß alles auch ganz anders hätte kommen können. Oder doch nicht? So deutet die Passage vielleicht die Grundfrage an nach dem Schicksal (eins der häufigsten Wörter bei Lucan ist fatum) und seiner Abwendbar- oder Unentrinnbarkeit. Aus der Sicht Brutus' ist noch alles offen; aus der Sicht des Erzählers (und aus unserer, der Leser, Sicht) ist die Zukunft (Brutus' Zukunft zum Zeitpunkt der Schlacht) bereits geschlossen. Die Apostrophe stellt sich genau an den Punkt, wo die Angel sich dreht, ehe die Tür ins Schloß fällt.