Weiter im Lucan

Buch V endet mit einem Abschied. Wie Lucan diese Szene gestaltet, ist wirklich herzzerreißend, und sollte jemand noch daran gezweifelt haben, daß Lucan ein großer Dichter ist, so dürfte dieser Zweifel spätestens hier ausgeräumt sein. Pompeius sieht, wie Caesar Verstärkung um Verstärkung zuläuft und ahnt, daß der Krieg sich der Entscheidung nähert. Aus Angst um das Leben seiner Gattin Cornelia schickt er sie fort, nach Lesbos, dort soll sie das Ende des Krieges abwarten. Sollte Pompeius geschlagen werden und noch fliehen können, will er einen Ort haben, an den er entkommen und sich mit seiner Gattin treffen kann. Cornelia ist über diese Absicht außer sich; es ist ihr unerträglich, in der Ferne nicht zu wissen, wie es um ihren Mann steht; noch das Schiff, das die Kunde seines Sieges brächte, müßte sie fürchten. Ich übersetze die Szene mal in voller Länge (V 722--815), den lateinischen Text findet man beispielsweise hier:

"Da von allen Seiten Caesars Heer frische Truppen zuströmten, begriff Pompeius, daß seinem Lager die letzte Entscheidung des grausamen Konflikts bevorstand. Da beschloß er, die süße Last seiner Gattin in Sicherheit zu bringen. Ja, er will dich, Cornelia, nach Lesbos bringen lassen und dich dort, fernab vom wüsten Schlachenlärm, verstecken. Ach! Wie leitet nicht aufrechte Gemüter die rechtschaffene Ehe! Auch dich, Pompeius, hat die Liebe zögerlich und ängstlich vor dem Kriege werden lassen. Als einzige sollte Cornelia den Schlag des Schicksals, der die Welt und die Zukunft Roms treffen würde, nicht spüren müssen. Da lassen die Worte die schon gefaßte Absicht im Stich, und schon im Begriff, was kommen muß, herbeizuziehen, will er sich noch einem Aufschub überlassen und dem Schicksal eine kleine Weile entwenden. Als der Tag anbricht und den Schlaf vertreibt, wärmt Cornelia mit ihrer Umarmung die von Sorgen schwere Brust ihres Mannes; doch als sie ihm Küsse geben will, wie sie ihm gefallen, wendet er sich ab; sie erschrickt über die feuchten Wangen, und von einem dunklen Schmerz getroffen, wagt sie es nicht, mit anzusehen, wie Pompeius weint. Der aber spricht seufzend zur ihr: 'Nun bist du mir, da ich des Lebens überdrüssig geworden bin, nicht mehr süßer als das Leben, doch warst du es einmal, in froheren Zeiten. Liebe, der traurige Tag ist da, den wir zu lange und doch nicht lange genug hinausgezögert haben; Caesar ist zur Schlacht bereit. Du mußt fliehen vor diesem Krieg: Lesbos wird dir ein sicheres Versteck bieten. Versuch nicht, mich mit Bitten umzustimmen: Ich habe sie mir selbst schon abgeschlagen. Du wirst die Entfernung von mir nicht lange ertragen müssen; die Dinge werden sich überstürzen, und Großes stürzt am schnellsten ein. Es reicht, daß du von den Gefahren, die mir drohen, weißt. Wenn du es erträgst, den Bruderkrieg mit anzusehen, hast du mich und meine Liebe getäuscht. Ich schäme mich, am Vorabend der Schlacht neben meiner Frau in Sicherheit zu schlafen und, wenn die Trompete diese erbärmliche Welt zum Beben bringt, mich von deiner Seite zu erheben. Ich scheue mich, in den Bürgerkrieg zu ziehen, ohne ein persönliches Opfer gebracht zu haben. Bleib du in deinem Versteck, sicherer als alle Völker und Könige. Fern von mir möge dich das Unglück deines Gatten nicht mit voller Wucht erdrücken. Sollten die Götter unsere Schlachtreihe zerschlagen, dann soll das Beste von mir erhalten bleiben und ich, wenn das Schicksal mir zusetzt und der blutbefleckte Sieger mir auf den Fersen ist, einen Ort haben, an den ich dann fliehen kann.' Kaum ertrug da Cornelia den Schmerz, eine Schwäche kam über sie, und die Sinne wollten ihr schwinden. Endlich vermochte die Stimme ihren Protest in traurige Worte zu fassen: 'Es bleibt mir nichts mehr über das Schicksal unserer Ehe oder die Götter zu klagen, Magnus. Nicht der Tod zerbricht unsere Liebe, nicht die letzte Fackel am grausamen Scheiterhaufen, nein! Ich teile das gwöhnliche, triviale Schicksal so vieler anderer Frauen -- und werde von meinem Mann verlassen! Beim Nahen des Feindes das Ehegelöbnis brechen, den Schwiegervater besänftigen -- das also, Magnus, verstehst du unter unserer Treue? Glaubst du, daß irgend etwas für mich sicherer sein kann als für dich? Teilen wir denn nicht dasselbe Geschick? Du heißest mich, fern von dir dem Blitz und Donner und dem totalen Untergang die Stirn zu bieten? Scheint es dir ein leichtes Los für mich, schon längst gestorben zu sein, während du noch um Rettung betest? Selbst wenn ich mich weigern sollte, dem Übel weiter zu dienen, sondern mir den Tod gäbe und dir in die Unterwelt folgte, dann würde ich doch solange dich überleben müssen, bis die traurige Kunde von deinem Tod endlich das Land meines Exils erschüttert hätte. Mehr noch, du Grausamer! Du gewöhnst mich an das Schicksal und lehrst mich, einen so großen Schmerz zu ertragen. Verzeih mir, wenn ich aufrichtig spreche: Ich fürchte mich davor, ihn ertragen zu können. Wenn also Gebete helfen und die Götter mich erhören, dann werde ich, deine Gattin, als letzte vom Ausgang der Ereignisse erfahren. Wie angeleimt werde ich auf der Klippe ausharren, während du vielleicht schon gesiegt hast, und das Schiff fürchten, das die frohe Kunde bringt. Und auch die Nachricht von deinem Sieg wird mir die Furcht nicht nehmen, kann ich doch, verschlagen an einen öden Ort, selbst noch von einem flüchtigen Caesar entführt werden. Der bekannte Name wird sich an jenem Gestade herumsprechen, wem bliebe verborgen, daß Pompeius seine Frau in Mytilene untergebracht hat? Also ist dies meine letzte Bitte an dich: Solltest du unterliegen und dir nichts mehr als die Flucht übrigbleiben, dann lenke, wenn du dich dem Meere anvertraust, dein unglückverheißendes Schiff woanders hin. Denn man wird dich dort suchen, wo ich bin.' So sprach sie. Dann springt sie wie von Sinnen vom Lager auf, um die Qual nicht noch zu verlängern, Pompeius' süße Umarmung, sich an seine Brust, seinen Hals zu schmiegen, erträgt sie nicht; und in diesem Moment vergeht die letzte Blüte einer so langen Liebe. Sie stürzen sich in ihre Trauer, scheidend erträgt es keins von ihnen, auch nur Lebewohl zu sagen. Der beiden ganzes Leben enthielt keine traurigere Stunde als diese; denn die kommenden Katastrophen würden sie gefaßt ertragen, mit einer durch bereits erlittene Übel gestärkten Haltung. Ohnmächtig sinkt Cornelia nieder, ihre Dienerinnen fangen sie auf, man trägt sie zum Meeresstrand, wo sie sich auf die Erde wirft und sich am Sand festkrallt; schließlich wird sie an Bord gebracht. Selbst damals, als sie, bedrängt von den Truppen des grausamen Caesar, die italische Heimat verlassen mußte, war sie nicht so unglücklich wie jetzt. Jetzt reist die treue Gefährtin des Pompeius ganz alleine, verläßt ihren Führer, flieht. Was für eine schlaflose Nacht erwartet dich, Cornelia. Alleine im ungewohnt leeren Bett, eine eisige Ruhe, keinen Mann, der sich an deine nackte Flanke schmiegt. Wie oft täuschten ihre Hände sie, wenn sie, betäubt von Schlaf, das leere Bett umarmte, in der Nacht ihren Mann suchte, bis ihr wieder einfiel, daß sie ja geflohen war. Obwohl sie bis ins Mark glühte vor Sehnsucht, half es nicht, sich im ganzen Bett zu wälzen: seinen Teil des Lagers sparte sie aus. Sie fürchtete, ihren Mann für immer entbehren zu müssen; aber das wäre noch glimpflich gewesen. Etwas anderes hatten die Götter ihr bestimmt. Schon nahte die Stunde, die der Unglücklichen ihren Pompeius wiederbrächte.