Mutter und Kind sprechen italienisch miteinander. Der Junge, er mag vielleicht acht Jahre alt sein, setzt sich neben mich auf die Bank, die Mutter bleibt stehen. Der Junge hält etwas auf den Knien, ich schiele hinüber, es ist ein Buch. Und nicht irgendeines, nein, es ist eine Rarität innerhalb der Seltenheit eines lesenden, smartphonelosen Kindes, es ist eine Ausgabe von Die drei ??? und die flüsternde Mumie, das habe ich schon als Kind gelesen, und was der Junge da aufschlägt, ist nichts weniger als eine Antiquität, nämlich eine Ausgabe aus meiner eigenen Kinderzeit, DTV-Junior, mit dem weißen Umschlag und dem Bild auf dem Cover. Sie müssen es aus dem öffentlichen Bücherschrank hinter dem Bahnhof gezogen haben. Der Junge liest, ich schiele hinüber, Kapitel zwei, „Eine Mumie flüstert“. Ich erinnere mich in groben Zügen an die Handlung. Besonders einprägsam ist mir die Szene in Erinnerung, wo sich Justus Jonas als Professor Yarborough verkleidet der Mumie nähert, die daraufhin zu flüstern beginnt und damit zu erkennen gibt, daß auch 3000 Jahre alte Mumien sich von einer simplen Verkleidung täuschen lassen. È bello, sagt der Junge zu seiner Mutter. Das ist Band drei. Die Mutter fragt etwas auf italienisch. Und das Gespensterschloß, antwortet das Kind, und das ist der Moment, wo ich überzeugt bin, in eine Hyperraum-Zeitschleife geraten zu sein. Aber dann fährt ein Zug der Mittelrheinbahn ein, irgendwo hinter mir jodelt ein Mobiltelephon, die Bahnhofsdurchsage murmelt etwas von Verzögerungen im Betriebsablauf und links von mir hat jemand einen weißen Stecker wie eine Spielfigur im Ohr. Kurz vorm Einsteigen halte ich noch einmal Ausschau nach dem bibliophilen Jungen und seiner Mutter, aber ich kann sie im Gewühl nirgends mehr entdecken.