Daß es sehr dunkel ist, dunkler aus sonst, fällt mir zwar gleich auf, stelle auch fest, daß ich die Läden nicht tiefer als sonst heruntergelassen habe, aber ich begreife nicht, was los ist, denke, während ich schlaftrunken und einen bösen Traum abschüttelnd nach den Hausschuhen taste, daß es eben mitten in der Nacht ist und daher folgerichtig finster. Auch im Bad vermute ich nur, daß die Nachtleuchte wohl kaputt gegangen sein muß und stelle zuerst keine Verbindung zu der auffallend dichten Dunkelheit her. Erst als ich den Lichtschalter drücke und nichts passiert, begreife ich, daß der Strom weg ist. Der Wecker ist dunkel, der Router ein schwarzer Block, und es ist deshalb so dunkel, weil auch die Straßenlaternen nicht mehr leuchten. Also fische ich die seit April nicht mehr benutzte Stirnlampe von ihrem Haken und lege mir die Armbanduhr auf den Nachttisch, das Ziffernblatt zeigt halb zwei. Um fünf muß ich raus, hoffentlich werde ich rechtzeitig wach, entweder um fünf oder irgendwann vorher, wenn der Strom wieder da ist und ich den Wecker stellen kann. Es ist höchst erstaunlich, mache ich mir in der nächsten schlaflosen Stunde klar, wie die Literatur unsere Wahrnehmung prägt. Oder käme mir ohne die Lektüre der Wand, der Arbeit der Nacht, insbesondere von Ende diese Finsternis auch so dicht, so unheilvoll, so sinister vor? Denn nicht nur ungewohnt dunkel ist es, es ist auch ungewohnt still, als wäre irgendeine Maschine, an deren leises Summen man sich so gewöhnt hat, daß man es nicht mehr wahrnimmt, im Stromausfall abgesoffen und hätte jetzt eine Stille hinterlassen, die ebenso fremd wie bedrohlich ist, unheilverkündend. Auch Autos hört man keine mehr, auch keinen Luftverkehr, auch keine Geräusche von Wohnungsnachbarn. Nicht nur der Strom, scheint es, ist ausgefallen, die Menschen sind es auch. Keine simple Panne hat sich ereignet, sondern eine stumme Katastrophe. Die Menschen sind tot oder verschwunden. Vielleicht wird es nie wieder hell. Vielleicht kommt der Strom vorerst nicht wieder, und in wenigen Stunden beginnen die Plünderungen der Supermärkte, weil die Registrierkassen nicht mehr funktionieren und die Märkte sich weigern, Lebensmittel herauszugeben. Ob das Leitungswasser noch läuft? Ich denke an eine Szene in Cormac McCarthys The Road, und mich fröstelt. Irgendwann höre ich, wie im Treppenhaus eine Tür aufgeht. Schritte schlurfen ein paar Treppen hoch oder runter, bleiben irgendwo stehen. Die Wohnungstür wird nicht wieder geschlossen, jedenfalls höre ich nichts. Immerhin bin ich nicht allein, aber ob das ein gutes Zeichen ist? Was mache ich, wenn der Strom am Morgen noch nicht wieder da ist? Haben die Bahn und die Straßenbahn eigentlich eigene Netze? Hat es überhaupt Sinn, zur Arbeit zu fahren? Wie lange komme ich schlimmstenfalls mit meinen Lebensmitteln aus? Wo gäbe es Wasser, das man unabgekocht trinken kann? Über solchen Fragen bin ich am einschlummern, als mich das Dingdong der Telephonstation aufschreckt, und in diesem Moment gehen auch die Straßenlampen wieder an. Der Router flackert sich ins Leben zurück. Die Leuchtanzeige des Radioweckers blinkt. Der Kühlschrank beginnt zu summen, zum Glück habe ich vorhin an den nicht auch noch gedacht, sonst hätte ich mir noch mehr Sorgen gemacht. Es ist halb drei. Ich stelle die Uhrzeit neu und den Wecker und lege mich beruhigt hin. Und seltsam: Als wäre die Maschine wieder angesprungen, beginnt die Nacht tatsächlich wieder zu arbeiten; die Flugzeuge brummen wieder über den Himmel, als hätten sie den Stromausfall regungslos und mit stummen Triebwerken schwebend in der Luft abgewartet. Ein Auto braust über die Durchfahrtsstraße hinter dem Block. Ein Güterzug rasselt in der Ferne vorüber. Die Nacht hat wieder Elektrizität, ihre Räder drehen sich, ihr Mahlwerk mahlt.