Die Schlacht (1)
ergo utrimque pari procurrunt agmina motu "mit gleicher Geschwindigkeit rücken die Heere gegeneinander vor" heißt es noch, bevor Lucan die Erzählung für einen über siebzig Verse langen Exkurs unterbricht, in dem er über die Verluste und langfristigen Folgen des Bürgerkriegs räsonniert: Ausdünnung der Bevölkerung, Vernichtung ganzer Ethnien, demographischer und sozialer Wandel, Schwäschung der Kampfkraft Roms, Änderungen der politischen Landkarte der Welt. So viele Männer seien an einem einzigen Tag vernichtet worden, wie mehrere Brabreneinfälle, Hungersnöte, Seuchen zusammengenommen. Pharsalia, das ist die Katastrophe schlechthin, das unvergleichbare Unglück. quam magna cadas -- noch aus aus dem Krachen, mit dem Rom stürzt, ersieht man, wie groß war, was an diesem Tag zugrundegeht.
Verloren ist nicht nur, was war, sondern auch, was hätte sein können, wenn die an jenem Tag zur gegenseitigen Vernichtung aufgebotenen Kräfte andernorts für ein gemeinsames Projekt wären aufwendet worden: die römische Eroberung Indiens, Eingliederung Sarmatiens ins römische Provinzsystem, die Parther tributpflichtig -- alles nicht passiert; stattdessen ist die so heftig und so oft umkämpfte verfassungsrechtliche Freiheit der Römer "zu den Germanen über den Rhein geflohen, um nie wieder zurückzukehren". Die Taten eines Brutus, die Vertreibung der Tarquinier -- alles umsonst, da wär's besser gewesen, Rom hätte seine Freiheit nie kennengelernt. Denn, sagt Lucan, am schlimmsten leiden unter der Tyrannei die, denen es schwerfällt, Untertanen zu sein, wie es den Römern eben schon immer schwergefallen ist.
Wer könnte angesichts solcher Schicksalsironie noch an Götter glauben? Ist es plausibel anzunehmen, daß Jupiter Blitze gegen die Berge Thessaliens schleudert, während ein Mann wie Cassius Caesar beseitigen muß?