Weiter im Lucan: die Schlacht bei Pharsalos (0)
Jetzt sind wir schon bei der Schlacht von Pharsalos angekommen und befinden uns doch erst in Buch VII. Diese Schlacht gilt heutigen Historikern als der Wendepunkt im Bürgerkrieg, und auch Lucan bzw. seine Zeitgenossen müssen das so gesehen haben -- nicht umsonst kreist die ganze Erzählung ja um nichts anderes, scheint dramaturgisch darauf als auf einen Höhepunkt zuzulaufen. Der dann weder ein echter Höhepunkt noch ein Endpunkt ist, folgen doch noch ganze drei Bücher, rund 2400 Verse. Der ständige Vorgriff auf die Katastrophe sowie die genußvolle Blutrünstigkeit, mit der etwa das Seegefecht bei Massilia geschildert wird, wecken Erwartungen, die nicht erfüllt werden. Nicht einmal beschrieben wird die Schlacht bei Pharsalo ordentlich, als hätte Lukan sein Pulver schon bei Massilia verschossen. Ausgerechnet bei der titelgebenden Entscheidungsschlacht übt der Dichter eine ungewohnte Zurückhaltung. Aber vielleicht ist ja gerade hier Zurückhaltung besser, dramaturgisch effektiver? Denn bis zu diesem Punkt hat der Leser schon so viel von abgehackten Gliedmaßen, durchbohrten Eingeweiden, aufgeschlitzten, zertrümmerten, in Stücke gerissenen Körpern lesen müssen, daß eine weitere, der bedonderen Stellung der Schlacht bei Pharsalos entsprechende Steigerung gar nicht möglich wäre. Unter Anhäufung von mehr des Gleichen müßte der Effekt verpuffen. Über das Ohrenbetäubende hinaus hört man nichts mehr. Zum andern entsteht eine besondere Wirkung gerade dadurch, daß das Grauen aus vorhergegangenen Schilderungen beim Leser ja noch lebendig ist; hier kann es nachwirken. Statt also derartige Schilderungen noch einmal zu wiederholen, wird ein größerer Effekt dadurch erzielt, daß der Dichter sich darauf beschränkt, an die früheren Schilderungen zu erinnern, und so dafür sorgt, daß wir als Leser die Schreckensbilder bei uns selbst noch einmal aufrufen müssen. So begnügt sich Lucan mit Andeutungen:
"Wenn eine ganze Welt untergeht, schämt man sich, Tränen für die ungezählten Toten zu vergießen, dem Schicksal einzelner nachzugehen und zu fragen, durch wessen Leib die tödliche Wunde ging, wer auf die eigenen auf den Boden geglittenen Eingeweide trat, wer im Angesicht des Gegners mit seinem letzten Atemhauch das Schwert aus der eigenen Kehle heraustrieb, wer erschlagen zusammenbrach, wer stehenblieb, während seine Glieder zu Boden fielen, wen das Wurfgeschoß durchbohrte, wen der Speer an den Grund nagelte, wessen Blut aus zerfetzten Adern durch die Luft schoß und auf der Rüstung des Gegners landete, wer auf die Brust seines Bruders einhieb, und, damit er den Leichnam plündern könne, den abgetrennten Kopf weit fort schleuderte, wer das Gesicht seines Vaters zur Unkenntlichkeit verwüstete, um mit dem übertriebenen Zorn den Umstehenden zu beweisen, dies sei nicht sein Vater, den er erschlagen. Kein Tod ist hier seiner Klage würdig, und keinen zu betrauern habe ich Zeit."
(Interessant, daß die Erzählstimme selbst zu begründen zu sollen glaubt, warum sie keine einzelnen Kämpfe schildert. Interessant auch, daß der Abschnitt die Form einer Einleitung hat, die einer detaillierteren Schilderung einzelner Kampf- und Sterbeszenen voraufgehen könnte. Seit den Tagen Homers war es üblich, vor einer solchen Schilderung nochmal tief Luft zu holen und die Muse anzurufen. So könnte denn auch die Folge indirekter Fragesätze dieses Abschnitts eingeleitet werden mit "Muse, sag mir, ..." -- Nur daß Lucan es bei den Andeutungen beläßt. Natürlich sind diese Dinge passiert; jemand hat das Gesicht seines Vaters unkenntlich gemacht, jemand trampelte auf seinen eigenen Eingeweiden herum. aber es wird nicht erzählt, es wird in der indirekten Frage vorausgesetzt.)