Weiter im Lucan
Noch einmal Scaeva
Lucan hat Scaeva nicht erfunden, da der Mann bei Caesar erwähnt wird; aber er hat ihm eine Geschichte gegeben, ein (tragisches) Gesicht. Für Lucan besteht die Tragik darin, daß dieses Opfer auf der falschen Seite gebracht wurde, auf der Seite derer, die für Lucan Usurpatoren legitimierter Macht und Zerstörer der diese Macht legitimierenden Ordnung sind. Was hätte dieser Mann im Lager des Pompeius nicht für die Sache der Republik leisten können! So aber hat er, indem er den Ausfall des Pompeius verhinderte, langfristig einem Tyrannen zum Thron verholfen. Sein Opfertod ist nicht nur sinnlos, sondern moralisch falsch.
Und noch etwas: Der Name Scaeva muß Lucan als Steilvorlage gedient haben. Der Dichter kann sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Auf schmerzliche Art ruft der verwandte Klang Scaeva-Scaevola in Erinnerung, wie in der Anfangszeit Roms die Bürgersoldaten der Stadt geschlossen einem gemeinsamen Feind entgegenzogen. Jetzt kämpfen sie von einer Art Verblendung getrieben, gegeneinander, und ein gemeinsames Rom scheint es gar nicht mehr zu geben, nur noch einzelne Feldherren, denen man hinterherläuft, solange sie gut genug zahlen. Auch den Feldherren geht es nicht um Rom (oder ihre persönliche Vision von Rom), sondern um die eigene Stellung, die eigene dignitas und auctoritas. Die Zeiten, da ein Scaevola seine rechte Hand für das Gemeinwohl opferte, sind vorbei, auf einen wie Scaevola wartet Pompeius vergebens, jetzt rettet nicht, jetzt verhindert ein Scaeva, und sei der noch so tapfer, mit seiner Wahnsinnstat die Rettung der Republik.