Die Lage spitzt sich zu im vorliegenden Abschnitt. Daß die Kunstfertigkeit dem, der sie anwendet, Schaden zufügt, ist ein häufiger Topos bei Ovid; als er am siebten Buch der Metamorphosen arbeitete, konnte er nicht ahnen, daß er den Gedanken in den Werken der Verbannung wieder und wieder auf sich selbst und seine unglückliche Lage literarisch anwenden würde: Sein dichterisches Talent, daß ihn die Kühnheit der Liebeskunst konziperen und ausführen ließ, hatte ihm die Verbannung eingetragen, die Kunst dem Künstler geschadet. Typisch für Ovid sind die ans Groteske reichenden Übertreibungen: Das Fieber ist so hoch, daß die kalte Erde, auf die sich die Kranken zwecks Kühlung legen, sich erhitzt (fervet, das heißt, wird nicht nur warm, sondern „kocht“ oder „siedet“); die Kranken trinken vor Durst ganze Flüsse leer, und daß Schafe die Wolle verlieren, ist auch ziemlich unwahrscheinlich. Andere Beschreibungen dagegen scheinen nur zu plausibel, als daß es einem nicht kalt den Rücken runterläuft: Kranke trinken von kontaminiertem Wasser, weil der Durst sie so sehr quält; die Verwzeiflung läßt die Kranken das Haus verlassen und umherscheifen, in der Hoffnung, daß alles gut wird, wenn man nur den Ort meidet, an dem das Übel zuschlug. Daß die Bettdecke unerträglich wird, kommt auch in anderen Pestbeschreibungen vor, mir ist nicht bekannt, ob das ein beobachtetes Symptom oder nur ein literarischer Topos ist, da müßte man mal nachforschen. Von der grotesken Übertreibung gelangt Ovid unter Rücknahme der Mittel zu Schilderungen von eindringlichem Ernst. Im letzten Bild der Passage kehrt der Text wieder zu den meteorologischen Zeichen des Anfangs zurück: Die Sterbenden strecken die Hände flehend aus zu demselben Himmel, der schon zu Beginn „schwer auf die Erde“ gedrückt hat, und suchen in letzter Verzweiflung Hilfe von dort, woher das Übel seinen Anfang nahm. Unterstrichen wird der Ernst vom Versmaß, dem bei Ovid äußerst seltenen versus spondiacus..
Niemand, der Abhilfe wüßte, ja grade unter den Ärzten um sich greift rasendes Sterben, und schadet den Heilern die Heilkunst: ja, je näher der Arzt dem Kranken, je treuer die Pflege, umso schneller kommt selbst er ans Sterben, und wenn erst auf Heilung hin ist die Hoffnung und klar wird, daß endet die Krankheit im Tode, geben sie auf und suchen nicht mehr, was helfen noch könnte: Helfen nämlich kann nichts. Allenthalben verliert man die Hemmung, legt sich in Quellen und Flüsse, bleibt liegen in breiten Zisternen, aber das Naß, als den Durst zu löschen, ist schneller getrunken. Schwer nach dem Trunk schaffen viele es nicht, sich noch zu erheben, sterben vor Ort im Wasser, das dann wieder andere schöpfen; Derart verhaßt ist das widrige Bett den Erkrankten, daß auf sie springen, oder, wenn ihnen die Schwäche das Stehen vereitelt, wälzen sie ihren Leib übern Grund. So fliehen das Haus sie, jeglicher seines, und jedem ein Totenhaus scheint sein Zuhause, denn, weil die Ursache unklar, so hat im Verdacht man die Orte; teilweise konnte Halbtote man sehen – solang sie noch aufrecht – wie auf den Straßen sie wankten, teils andre schon weinend am Boden, wie sie die müden Augen in letzter Regung verdrehten; und sie recken die Hand nach den Sternen des hangenden Himmels, grad wo der Tod sie ereilt, so hauchen sie aus ihr Leben.
nec moderator adest, inque ipsos saeva medentes erumpit clades, obsuntque auctoribus artes; quo propior quisque est servitque fidelius aegro, in partem leti citius venit, utque salutis spes abiit finemque vident in funere morbi, indulgent animis et nulla, quid utile, cura est: utile enim nihil est. passim positoque pudore fontibus et fluviis puteisque capacibus haerent, nec sitis est exstincta prius quam vita bibendo. inde graves multi nequeunt consurgere et ipsis inmoriuntur aquis, aliquis tamen haurit et illas; tantaque sunt miseris invisi taedia lecti, prosiliunt aut, si prohibent consistere vires, corpora devolvunt in humum fugiuntque penates quisque suos, sua cuique domus funesta videtur, et quia causa latet, locus est in crimine; partim semianimes errare viis, dum stare valebant, adspiceres, flentes alios terraque iacentes lassaque versantes supremo lumina motu; membraque pendentis tendunt ad sidera caeli, hic illic, ubi mors deprenderat, exhalantes.